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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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die vier: Soweit ich das sagen konnte, gehörte allen alles, bis auf die Unterwäsche, Gott sei Dank. Die Jungs holten sich willkürlich Klamotten aus der Wäschekammer, egal, was, Hauptsache, es passte. Ich bin nie dahintergekommen, welche Tops offiziell Lexie gehörten und welche Abby. Sie rissen sich gegenseitig Blätter aus den Notizblöcken, aßen Toast vom nächstbesten Teller, tranken von jedem Glas, das gerade in Reichweite stand.
    Ich erwähnte das Frank gegenüber nicht – er hätte nur statt seiner üblichen Orgiensprüche düstere Warnungen über Kommunismus ausgestoßen, und mir gefielen die verschwommenen Grenzen. Sie erinnerten mich an etwas Warmes und Stabiles, das ich nicht genau benennen konnte. Im Garderobenschrank, der noch von Onkel Simon stammte, hing eine weite, grüne Wachsjacke, die jedem gehörte, der hinaus in den Regen ging – willst du die Jacke anziehen? Als ich sie das erste Mal zu meinem Spaziergang überzog, durchlief mich ein seltsamer, berauschender, kleiner Schauder, als würde ich zum allerersten Mal mit einem Jungen Händchen halten.
    Es war Donnerstag, als ich endlich dahinterkam, was das für ein Gefühl war. Die Tage wurden langsam länger, je näher der Sommer rückte, und es war ein klarer, warmer, wunderschöner Abend. Nach dem Essen nahmen wir eine Flasche Wein und einen Biskuitkuchen mit nach draußen auf den Rasen. Ich hatte eine Gänseblümchenkette geflochten und versuchte, sie mir ums Handgelenk zu binden. Inzwischen hatte ich das mit der Alkoholabstinenz aufgegeben – es passte irgendwie nicht zu mir, die anderen wurden dadurch nur an meine Stichverletzung erinnert und verkrampften sich, und außerdem waren die Folgen von Antibiotika in Verbindung mit Alkohol eine gute Möglichkeit, mich notfalls aus der Gefahrenzone zu bringen –, daher war ich leicht angeheitert.
    »Noch ein Stück Kuchen«, verlangte Rafe und stupste mich mit dem Fuß an.
    »Hol’s dir selbst. Ich bin beschäftigt.« Ich hatte es aufgegeben, mir die Kette mit einer Hand umzubinden, und legte sie stattdessen gerade Justin an.
    »Du bist ein faules Subjekt, weißt du das?«
    »Musst du gerade sagen.« Ich klemmte mir einen Fuß in den Nacken – da ich als Kind gern geturnt habe, bin ich gelenkig – und streckte Rafe unter meinem Knie her die Zunge raus. »Ich bin aktiv und gesund, guck’s dir an.«
    Rafe zog langsam eine Augenbraue hoch. »Ich bin erregt.«
    »Du bist pervers«, erwiderte ich mit so viel Würde, wie das in der Position möglich war.
    »Lass den Quatsch«, sagte Abby. »Sonst reißt deine OP-Naht, und wir sind alle zu betrunken, um dich ins Krankenhaus zu fahren.«
    Ich hatte meine imaginäre Naht vollkommen vergessen. Eine Sekunde lang überlegte ich, darüber beunruhigt zu sein, aber ich entschied mich dagegen. Die lange Abendsonne und das Barfußsein und das kitzelige Gras und vermutlich der Wein machten mich unbeschwert und albern. Ich hatte mich seit einer Ewigkeit nicht mehr so gefühlt, und es gefiel mir. Ich manövrierte den Kopf herum und guckte Abby von der Seite an. »Der Naht geht’s gut. Sie tut nicht mal mehr weh.«
    »Weil du dich bis jetzt auch nicht so verknotet hast«, sagte Daniel. »Sei brav.«
    Normalerweise reagiere ich allergisch, wenn jemand mich herumkommandieren will, aber irgendwie war es ein gutes Gefühl, wohltuend. »Ja, Dad«, sagte ich und nahm mein Bein runter, wodurch ich das Gleichgewicht verlor und auf Justin kippte.
    »Aua, runter von mir«, sagte er und gab mir einen leichten Klaps. »Mensch, wie viel Tonnen wiegst du eigentlich?« Ich rutschte in eine bequeme Position und blieb mit dem Kopf auf seinem Schoß liegen, blinzelte in den Sonnenuntergang. Justin kitzelte meine Nase mit einem Grashalm.
    Ich gab mich entspannt, zumindest hoffte ich das, aber meine Gedanken überschlugen sich. Mir war gerade bewusst geworden – Ja, Dad –, woran mich die ganze Situation hier erinnerte: an eine Familie. Vielleicht keine richtige Familie, obwohl, was verstand ich schon davon, aber an eine Familie aus zig Kinderbuchreihen und alten Fernsehserien, die tröstliche Sorte, die jahrelang läuft, ohne dass einer älter wird, bis du dich irgendwann fragst, wie es um den Hormonspiegel der Schauspieler bestellt ist. Die fünf hier deckten alles ab: Daniel, der distanzierte, aber liebevolle Vater, Justin und Abby, die abwechselnd in die Rolle der beschützenden Mummy und des überheblichen ältesten Sprosses schlüpften, Rafe, das launische mittlere Kind

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