Totengleich
›Baby-Mörder‹, Plural – die reden nicht von einem alten Knacker. Die haben mit der ganzen Familie ein Problem: Whitethorn House und alle, die drin leben.«
Der Feldweg wirkte abweisend und feindselig, zu viele Schattenformen, Erinnerungen an zu viele alte Dinge, die irgendwo zwischen seinen Windungen geschehen waren. Ich trat in den Schatten eines Baumes und lehnte mich mit dem Rücken gegen den Stamm. »Wieso haben wir vorher nichts davon erfahren?«
»Wir haben nicht gefragt. Für uns war allein Lexie, oder wer immer sie war, das Ziel. Wir haben gar nicht in Erwägung gezogen, sie könnte – wie heißt es doch so schön? – ein Kollateralschaden sein. Byrne und Doherty trifft keine Schuld. Die haben noch nie an einem Mordfall mitgearbeitet und wissen gar nicht, was es da alles zu bedenken gilt. Die sind nicht mal auf die Idee gekommen, das könnte für uns interessant sein.«
»Und was sagen sie zu der Geschichte?«
Sam atmete laut aus. »Nicht viel. Sie haben für keinen Einzigen der Vorfälle auch nur einen Verdächtigen, und über irgendein totes Baby wissen sie gar nichts, und sie haben mir viel Glück für meine Befragungen im Ort gewünscht. Beide sagen, sie wissen nach wie vor nicht mehr über Glenskehy als am Tag ihrer Ankunft. Die Einwohner bleiben unter sich, mögen keine Polizei, mögen keine Auswärtigen. Wenn mal eine Straftat begangen wird, hat keiner was gesehen, keiner was gehört, und sie klären die Sache auf ihre Art, privat. Laut Byrne und Doherty halten sogar die anderen Dörfer in der Gegend die Leute von Glenskehy für komplett bescheuert.«
»Also haben sie den Vandalismus einfach ignoriert?«, sagte ich. Ich konnte die nervöse Anspannung in meiner Stimme hören. »Haben die Anzeige aufgenommen und gesagt, ›Tja, da können wir leider nichts machen‹, und seelenruhig zugesehen, wie irgendwer Whitethorn House immer wieder aufs Korn genommen hat.«
»Sie haben ihr Bestes getan«, sagte Sam prompt und mit Nachdruck – alle Kollegen, selbst Kollegen wie Doherty und Byrne, gelten für Sam als Familie. »Nach den ersten Einbrüchen haben sie Simon March geraten, sich einen Hund anzuschaffen oder eine Alarmanlage. Er hat gesagt, er könnte Hunde nicht ausstehen, Alarmanlagen wären was für Schwuchteln und er könnte gut selbst auf sich aufpassen, vielen herzlichen Dank. Byrne und Doherty hatten irgendwie das Gefühl, er hätte eine Schusswaffe – das wird die sein, die ihr gefunden habt. Sie waren nicht begeistert davon, zumal er die meiste Zeit betrunken war, aber sie konnten nichts machen. Als sie ihn rundheraus fragten, hat er es abgestritten. Sie konnten ihn ja wohl kaum gegen seinen Willen zwingen, sich eine Alarmanlage anzuschaffen.«
»Und als er dann im Hospiz lag? Sie wussten doch, dass das Haus leer stand, das muss jeder in der Gegend gewusst haben, sie wussten, dass es ein schutzloses Ziel war –«
»Sie haben jeden Abend auf ihrer Runde nach dem Rechten gesehen, klar«, sagte Sam. »Was hätten sie sonst noch machen sollen?«
Er klang verblüfft, und ich merkte, dass meine Stimme laut geworden war. »Du hast gesagt, ›bis Lexie und Co. eingezogen sind‹«, sagte ich leiser. »Was war dann?«
»Die Vandalismusvorfälle hörten nicht auf, gingen aber deutlich zurück. Byrne hat dem Haus einen Besuch abgestattet und mit Daniel gesprochen, hat ihm erzählt, was alles so passiert war, aber Daniel hat das nicht sonderlich beunruhigt. Seitdem hat es nur zwei Vorfälle gegeben: ein Stein durchs Fenster im Oktober und noch einmal eine Wandschmiererei im Dezember – AUSLÄNDER VERPISST EUCH. Für Byrne und Doherty war das alles Schnee von gestern, auch deshalb haben sie es uns gegenüber nicht erwähnt.«
»Dann war es also vielleicht bloß ein Rachefeldzug gegen Onkel Simon.«
»Könnte sein, glaub ich aber nicht. Ich tippe eher auf ein zeitliches Problem, sozusagen.« In Sams Stimme lag ein Grinsen: Etwas Handfestes zu haben hatte ihm Auftrieb gegeben. »In sechzehn Berichten ist angegeben, um welche Uhrzeit das jeweilige Delikt begangen wurde, und die liegt ausnahmslos zwischen halb zwölf und ein Uhr nachts. Das ist kein Zufall. Wer auch immer Whitethorn House auf dem Kieker hat, das ist das Zeitfenster.«
»Sperrstunde«, sagte ich.
Er lachte. »Zwei Doofe, ein Gedanke. Ich tippe auf ein paar Typen, die zusammen ihr Bierchen trinken, und ab und an schauen sie ein bisschen zu tief ins Glas, trinken sich ein bisschen Mut an, und wenn der Wirt sie rausschmeißt,
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