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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Er zog die Frischhaltefolie glatt und legte sie aufs Gras, das Sandwich genau in die Mitte.
    »Was hast du dann gemacht?«, fragte ich leise.
    »Über Weihnachten? Bin überwiegend in meiner Wohnung geblieben. Hab mir eine richtig teure Flasche Whiskey gekauft. Mich in Selbstmitleid gesuhlt.« Er lächelte mich matt an. »Ich weiß: Ich hätte euch sagen sollen, dass ich wieder zurück war. Aber … tja, Stolz, denke ich. Es war eine der demütigendsten Erfahrungen meines Lebens. Ich weiß, keiner von euch hätte Fragen gestellt, aber ihr hättet euch doch gewundert, und ihr seid nun mal alle cleverer, als die Polizei erlaubt. Einer von euch wäre draufgekommen.«
    So wie er dasaß – die Knie angezogen, die Füße akkurat nebeneinander –, waren seine Hosenbeine hochgerutscht. Er trug graue Socken, die vom vielen Waschen dünn geworden waren, und seine Knöchel waren zart und mager wie die eines kleinen Jungen. Ich streckte den Arm aus und legte meine Hand auf einen Knöchel. Er war warm und fest, und meine Finger hätten mühelos fast ganz drum herumgreifen können.
    »Nein, ist schon gut«, sagte Justin, und als ich aufblickte, sah ich, dass er mich anlächelte, diesmal richtig. »Ganz ehrlich, ist es wirklich. Zuerst hat es mich ziemlich fertiggemacht. Ich hab mich verwaist gefühlt, heimatlos – ich schwöre, wenn du mitbekommen hättest, was ich mir für einen melodramatischen Quatsch zurechtgedacht habe … Aber jetzt denke ich nicht mehr dran, seit dem Haus nicht mehr. Ich weiß nicht mal, warum ich davon angefangen hab.«
    »Meine Schuld«, sagte ich. »Tut mir leid.«
    »Muss es nicht.« Er strich leicht mit der Fingerspitze über meine Hand. »Wenn du wirklich Kontakt zu deinen Eltern aufnehmen willst, dann … tja, das geht mich nichts an, oder? Ich meine bloß, vergiss nicht: Wir haben alle unsere Gründe, warum wir beschlossen haben, keine Vergangenheit. Das gilt nicht nur für mich. Rafe … tja, du hast ja seinen Vater gehört.«
    Ich nickte. »Was für ein Kotzbrocken.«
    »Solange ich Rafe kenne, kriegt er immer wieder genau den gleichen Anruf: Du bist jämmerlich, du bist ein Versager, ich schäme mich, dich meinen Freunden gegenüber zu erwähnen. Ich bin ziemlich sicher, dass seine ganze Kindheit so war. Sein Vater hat ihn vom Tag seiner Geburt an abgelehnt – so was kommt vor, weißt du. Er wollte einen richtigen Macho von Sohn, einen, der Rugby spielt und seine Sekretärin angrapscht und sich draußen vor Striplokalen die Seele aus dem Leib kotzt, und stattdessen hat er Rafe gekriegt. Er hat ihm das Leben zur Hölle gemacht. Du hast Rafe nicht erlebt, als wir hier an der Uni anfingen: dieser dürre, bissige Kerl, so aggressiv, dass er dir schon bei der kleinsten Frotzelei an den Kragen wollte. Am Anfang wusste ich nicht mal so genau, ob ich ihn überhaupt leiden konnte. Ich hab mich bloß mit ihm abgefunden, weil ich Abby und Daniel mochte und die beiden ihn offenbar in Ordnung fanden.«
    »Er ist immer noch dürr«, sagte ich. »Und bissig ist er auch. Er kann ein kleines Arschloch sein, wenn er will.«
    Justin schüttelte den Kopf. »Er hat sich schon tausendfach gebessert. Und allein deshalb, weil er sich keine Gedanken mehr über seine grässlichen Eltern machen muss. Und Daniel … Hast du je mitbekommen, dass er auch nur ein einziges Wort über seine Kindheit verloren hat?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich auch nicht. Ich weiß, dass seine Eltern gestorben sind, aber ich weiß nicht, wann oder wie oder was danach mit ihm passiert ist – wo er gelebt hat, mit wem, nichts. Abby und ich waren mal einen Abend heillos betrunken und haben angefangen, rumzualbern und uns Kindheiten für Daniel auszudenken: Er wurde als Kind ausgesetzt und von Hamstern großgezogen, er wuchs in einem Bordell in Istanbul auf, seine Eltern waren Schläfer der CIA, die vom KGB ausgeschaltet wurden, und er hat überlebt, weil er sich in der Waschmaschine versteckt hat … Wir fanden das lustig, aber Tatsache ist, seine Kindheit kann nicht besonders angenehm gewesen sein, wenn er so ein Geheimnis draus macht, oder? Du bist ja schon extrem … « Justin warf mir einen raschen Blick zu. »Aber ich weiß immerhin, dass du Windpocken hattest und reiten kannst. Von Daniel weiß ich nichts. Gar nichts.«
    Ich hoffte inständig, dass sich ja keine Situation ergeben würde, in der ich meine reiterlichen Fähigkeiten unter Beweis stellen musste. »Und dann Abby«, fuhr Justin fort. »Hat Abby dir je was über ihre

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