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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Mutter erzählt?«
    »Dies und das«, sagte ich. »Ich kann mir einigermaßen ein Bild machen.«
    »Es ist schlimmer, als sie es darstellt. Ich hab die Frau nämlich mal kennengelernt – da warst du noch nicht hier, damals im dritten Jahr. Eines Abends waren wir alle bei Abby zu Hause, und plötzlich tauchte ihre Mutter auf, hämmerte regelrecht gegen die Tür. Sie war … Gott. Wie sie angezogen war – ich weiß nicht, ob sie wirklich eine Prostituierte war oder bloß … egal. Und sie war offensichtlich total neben der Spur. Sie hat Abby die ganze Zeit angebrüllt, aber ich hab kaum ein Wort verstanden. Abby hat ihr irgendwas in die Hand gedrückt – bestimmt Geld, und du weißt ja, wie pleite Abby immer war –, und dann hat sie sie förmlich rausgeschmissen. Sie war weiß wie ein Gespenst, Abby, mein ich. Ich dachte, sie würde jede Sekunde umkippen.« Justin sah mich ängstlich an und schob seine Brille höher auf die Nase. »Sag ihr nicht, dass ich dir das erzählt hab.«
    »Versprochen.«
    »Sie hat die Sache danach nie wieder erwähnt, und ich glaub nicht, dass sie inzwischen drüber reden will. Ist jedenfalls mein Eindruck. Du hast mit Sicherheit auch deine Gründe, warum du die Keine-Vergangenheit-Absprache für eine gute Idee gehalten hast. Vielleicht siehst du das ja mittlerweile anders, nach dem, was dir passiert ist, keine Ahnung, aber … vergiss nicht, du bist im Augenblick noch geschwächt. Lass dir noch ein bisschen Zeit, ehe du irgendwas Unwiderrufliches tust. Und falls du dann beschließt, dich bei deinen Eltern zu melden, wäre es vielleicht besser, den anderen nichts davon zu erzählen. Das würde … Na ja. Das würde ihnen weh tun.«
    Ich sah ihn verwundert an. »Im Ernst?«
    »Ja klar. Wir sind … « Er fummelte noch immer an der Klarsichtfolie rum. Ein schwacher rosa Hauch stieg in seine Wangen. »Wir lieben dich, weißt du. Was uns betrifft, wir sind jetzt deine Familie. Sind für einander die einzige Familie, die wir haben – ich meine, das stimmt natürlich nicht ganz, aber du weißt, was ich meine … «
    Ich beugte mich vor und küsste ihn rasch auf die Wange. »Klar weiß ich das«, sagte ich. »Ich weiß genau, was du meinst.«
    Justins Handy piepste. »Das ist bestimmt Rafe«, sagte er und fischte es aus der Tasche. »Ja. Er will wissen, wo wir sind.«
    Er fing an, Rafe eine Antwort zu simsen, wobei er kurzsichtig auf die Handytasten spähte, und hob den Arm, um mit der freien Hand meine Schulter zu drücken. »Denk einfach noch mal drüber nach«, sagte er. »Und iss dein Sandwich.«

    »Wie ich sehe, spielst du Wer-ist-der-Daddy«, sagte Frank am selben Abend. Er aß irgendwas – vielleicht einen Hamburger, ich hörte Papier rascheln. »Und Justin ist ja wohl eindeutig aus dem Rennen. Es werden noch Wetten angenommen: Danny-Boy oder Pretty-Boy?«
    »Oder keiner von beiden«, sagte ich. Ich war unterwegs zu meinem Lauerposten. In letzter Zeit rief ich Frank immer schon an, sobald ich durch das hintere Tor war, anstatt auch nur ein paar Minuten abzuwarten, weil ich darauf brannte zu hören, ob er irgendetwas Neues über Lexie erfahren hatte. »Vergiss nicht, unser Mörder hat sie gekannt, und wir wissen nicht, wie gut. Und außerdem war das nicht die Frage, um die es mir ging. Ich wollte dieser Keine-Vergangenheit-Sache auf den Grund gehen, um rauszufinden, was die vier verschweigen.«
    »Und herausgekommen ist dabei nur eine Sammlung von tränenrührigen Geschichten. Zugegeben, dieses Getue von wegen keine Vergangenheit ist ziemlich bescheuert, aber wir wussten ja sowieso schon, dass sie ein Haufen Spinner sind. Keine neue Erkenntnis.«
    »Mmm«, sagte ich. Ich war weniger überzeugt, dass der Nachmittag nichts erbracht hatte, obwohl ich noch nicht wusste, wie ich ihn einordnen sollte. »Ich werde weiter herumbohren.«
    »Der ganz Tag war schon so frustig«, sagte Frank mit vollem Mund. »Ich hab Lexies Spur zurückverfolgt, ohne Ergebnis. Wahrscheinlich ist dir auch schon aufgefallen, dass es in ihrer Geschichte eine Lücke von anderthalb Jahren gibt. Sie legt die May-Ruth-Identität Ende 2000 ab, taucht aber Anfang 2002 als Lexie wieder auf. Ich will rausfinden, wo und wer sie in der Zwischenzeit war. Dass sie nach Hause zurückgekehrt ist, wo auch immer das sein mag, kann ich mir zwar nicht vorstellen, ist aber immerhin möglich. Und selbst wenn nicht, hat sie uns vielleicht trotzdem unterwegs den ein oder anderen Hinweis hinterlassen.«
    »Ich würde mich auf europäische

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