Totengleich
das wird er doch wohl nicht gemacht haben, oder?«
»Kann ich mir kaum vorstellen«, sagte Daniel. Auch in seiner Stimme klang ein Lachen an, das hervorbrechen wollte. Adrenalin: Wir knisterten förmlich davon. »Ich denke, dem reicht’s für heute. Alle unverletzt?«
»Nein, und das geht auf das Konto von unserer kleinen Kampfmaschine hier«, sagte Rafe. Er wollte mich an den Haaren ziehen, erwischte aber mein Ohr.
»Ich bin in Ordnung«, sagte ich und schlug Rafes Hand weg. Justin murmelte im Hintergrund noch immer: »Oh Gott, oh Gott, oh Gott … «
»Gut«, sagte Daniel. »Gehen wir nach Hause.«
Am hinteren Tor war keine Spur von Abby. Nichts außer den bebenden Weißdornbüschen und dem langsamen, gespenstischen Quietschen der Angeln in dem leichten Wind. Justin fing schon an zu hyperventilieren, als Daniel »Abby, wir sind’s« in die Dunkelheit rief und sie wie aus dem Nichts auftauchte, ein weißes Oval und ein schwingender Rock und ein bronzefarbener Strich. Sie hielt den Schürhaken in beiden Händen.
»Habt ihr ihn erwischt?«, flüsterte sie, ein leises, leidenschaftliches Zischen. »Habt ihr ihn erwischt?«
»Himmel, ich bin von wilden Kriegerinnen umgeben«, sagte Rafe. »Ich hoffe, ihr werdet niemals sauer auf mich.« Seine Stimme klang gedämpft, als würde er sich die Nase halten.
»Johanna von Orléans und Boudicca«, sagte Daniel lächelnd. Ich spürte kurz seine Hand auf meiner Schulter und sah die andere über Abbys Haar streichen. »Im Kampf, um ihr Heim zu verteidigen. Wir haben ihn erwischt. Nur einen Moment lang, aber ich glaube, wir haben ihm klargemacht, was Sache ist.«
»Ich hätte ihn am liebsten hergeschleift, um ihn ausgestopft über den Kamin zu hängen«, sagte ich, während ich versuchte, mit den Handgelenken Schmutz von meiner Jeans zu wischen, »aber er ist leider abgehauen.«
»Dieser kleine Wichser«, sagte Abby. Sie stieß laut pustend die Luft aus und ließ den Schürhaken sinken. »Ich hab ehrlich gehofft, dass er zurückkommt.«
»Lasst uns reingehen«, sagte Justin mit einem Blick über die Schulter.
»Was hat er eigentlich geworfen?«, wollte Rafe wissen. »Ich hab nicht mal hingesehen.«
»Einen Stein«, sagte Abby. »Und irgendwas ist mit Klebeband dran befestigt.«
»Um Gottes willen«, sagte Justin entsetzt, sobald wir die Küche betraten. »Wie seht ihr drei denn bloß aus!«
»Donnerwetter«, sagte Abby und zog die Augenbrauen hoch. »Beeindruckend. Ich würde zu gern sehen, wie euer Gegner aussieht.«
Wir sahen fast so schlimm aus, wie ich erwartet hatte. Zittrig und mit fahrigem Blick, völlig verdreckt und verkratzt, große dramatische Blutflecke an unerwarteten Stellen. Daniel hinkte stark, und sein Hemd war zerfetzt, ein Ärmel hing lose herab. Rafes Hose hatte an einem Knie einen Riss, durch das Loch war glänzendes Rot zu sehen, und er würde am nächsten Morgen ein prächtiges Veilchen haben.
»Eure Kratzer müssen desinfiziert werden«, sagte Justin. »Weiß der Himmel, was man sich auf diesen Wegen alles einfangen kann. Der ganze Dreck, Kühe und Schafe und alle möglichen –«
»Später«, sagte Daniel und schob sich die Haare aus den Augen. Dabei bekam er einen kleinen Zweig zwischen die Finger, betrachtete ihn verwundert und legte ihn sorgfältig auf den Küchentisch. »Ich finde, wir sollten erst mal nachsehen, was an dem Stein klebt.«
Es war ein gefaltetes Stück Papier, liniert, wie aus einem Schulheft gerissen. »Wartet«, sagte Daniel – Rafe und ich waren beide darauf zugegangen. Er nahm zwei Kugelschreiber vom Tisch, ging vorsichtig über die Scherben zu dem Stein und löste mit den Stiften das Blatt ab.
»Dann wollen wir uns den Schaden mal ansehen«, sagte Justin munter, eine Schüssel Wasser in der einen Hand, einen Lappen in der anderen. » Ladies first . Lexie, was ist mit deinen Händen?«
»Gleich«, sagte ich. Daniel hatte das Stück Papier zum Tisch getragen und faltete es behutsam mit den Kugelschreiberspitzen auseinander.
»Oh«, sagte Justin. »Oh.«
Wir stellten uns um Daniel, Schulter an Schulter. Sein Gesicht blutete – eine Platzwunde auf seinem Wangenknochen, entweder von einer Faust oder dem Rand seiner Brille –, aber er schien es nicht zu merken.
Es war eine Nachricht in wütenden Großbuchstaben, so kraftvoll geschrieben, dass der Stift sich an manchen Stellen durch das Papier gedrückt hatte. »WIR WERDEN EUCH AB-FACKELN.«
Für einen Moment trat absolute Stille ein.
»Mein lieber Mann«,
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