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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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haben, sollten wir ihn zum Essen einladen.«
    »Nur über meine Leiche«, sagte Abby. Ihre Stimme klang gepresst. »Du musstest dich nicht mit ihm rumschlagen. Wir schon.«
    »Und über meine«, sagte Justin. »Der Mann ist ein Banause. Den ganzen Abend hat er Heineken getrunken, klar, und dann hat er immer wieder gerülpst und fand das natürlich zum Schreien komisch, jedes Mal. Und dann das ganze Gelaber über Einbauküchen und Steuerersparnisse und Förderungsmaßnahmen. Einmal hat gereicht, vielen herzlichen Dank.«
    »Ihr seid gefühllos«, erklärte Rafe. »Ned liebt dieses Haus. Das hat er doch auch dem Richter erzählt. Ich finde, wir sollten ihm die Gelegenheit geben, sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass der alte Familiensitz in guten Händen ist. Gib mal die Zigaretten rüber.«
    »Das Einzige, was Ned liebt«, sagte Daniel sehr schneidend, »ist die Vorstellung von sechs mit allem Zipp und Zapp ausgestatteten ›Luxuswohnungen in weitläufiger Umlage mit dem Potential zur weiteren Erschließung‹. Und die Chance, das je zu realisieren, kriegt er nur über meine Leiche.«
    Justin machte eine jähe, ruckartige Bewegung, die er überspielte, indem er nach dem Aschenbecher griff und ihn zu Abby rüberschob. Eine aufgeladene, angespannte Stille trat ein. Abby zündete ihre Zigarette an, löschte das Streichholz und warf Rafe die Packung zu, der sie mit einer Hand auffing. Keiner sah den anderen an. Eine Hummel kam durchs Fenster hereingebrummt, schwebte kurz in einem Sonnenstreifen über dem Klavier und taumelte schließlich wieder nach draußen.
    Ich wollte etwas sagen – es war schließlich mein Part, Momente wie diesen zu entschärfen –, aber ich wusste, dass wir in irgendeinen heimtückischen und komplizierten Sumpf geraten waren, wo ein Fehltritt mich in große Schwierigkeiten bringen könnte. Ned hörte sich mehr und mehr nach einem echten Kotzbrocken an, doch das, was ich jetzt und hier spürte, war sehr viel weitreichender und dunkler.
    Abby beobachtete mich mit kühlen, forschenden Augen über ihre Zigarette hinweg. Ich warf ihr einen gequälten Blick zu, was mir nicht schwerfiel. Nach einem Moment griff sie nach dem Aschenbecher und sagte: »Wenn wir nichts Passendes für die Wände haben, könnten wir doch was anderes ausprobieren. Rafe, wenn wir Fotos von alten Wandgemälden fänden, meinst du, so was würdest du hinkriegen?«
    Rafe zuckte die Achseln. Ein erster Anflug des streitlustigen Schiebt-mir-nicht-die-Schuld-in-die-Schuhe-Blicks schlich sich wieder in sein Gesicht. Die dunkle Gewitterwolke hatte sich wieder über den Raum gesenkt.
    Schweigen kam mir gerade recht. Meine Gedanken überschlugen sich – nicht bloß weil Lexie sich aus irgendeinem Grund mit dem Erzfeind eingelassen hatte, sondern auch weil das Thema Ned ganz offensichtlich tabu war. In den letzten drei Wochen war sein Name kein einziges Mal gefallen, bei seiner ersten Erwähnung drehten alle durch, und ich konnte mir einfach nicht erklären, wieso. Schließlich hatte er doch verloren. Das Haus gehörte Daniel, sowohl Onkel Simon als auch ein Richter hatten das verfügt, also hätte Ned höchstens ein Lachen und ein paar hämische Kommentare auslösen sollen. Ich hätte ein mittelgroßes Organ hergegeben, um dahinterzukommen, was zum Henker hier los war, aber ich würde den Teufel tun, danach zu fragen.

    Wie sich herausstellte, musste ich das auch nicht. Franks Gedanken – und eigentlich fand ich diese Vorstellung irritierend – hatten sich parallel zu meinen bewegt, parallel und schnell.
    Ich brach so früh wie möglich zu meinem Spaziergang auf. Die Wolke hatte sich nicht aufgelöst. Wenn überhaupt, war sie dicker geworden, schob sich von Wänden und Decken immer näher heran. Das Abendessen war eine Qual gewesen. Justin und Abby und ich hatten unser Bestes getan, ein Gespräch in Gang zu halten, aber Rafe war in einer vorwurfsvoll düsteren Stimmung versunken, die man förmlich sehen konnte, und Daniel hatte sich in sich selbst zurückgezogen und gab nur einsilbige Antworten. Ich musste raus aus dem Haus und nachdenken.
    Lexie hatte sich mindestens dreimal mit Ned getroffen, und sie hatte dafür viel Mühe auf sich genommen. Die vier klassischen Motive: Lust, Habgier, Hass und Liebe. Die Möglichkeit, dass es Lust gewesen sein könnte, löste bei mir einen Würgereflex aus. Je mehr ich über Ned erfuhr, desto mehr wollte ich glauben, dass Lexie ihn nicht mal mit der Kneifzange angefasst hätte. Aber

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