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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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sagte ich schließlich, »und er erreicht sein Ziel. Irgendwie. Gibst du ihm seine drei Tage?«
    Sam seufzte. »Wenn es dir nichts ausmacht, das ganze Wochenende zu Hause zu bleiben, ja, dann soll er sie von mir aus haben. Es kann ja auch eigentlich nicht schaden, uns in dem Fall so lange bedeckt zu halten, bis wir irgendwas in der Hand haben – eine Identifizierung, einen Verdächtigen, irgendwas. So hält sich die Verwirrung in Grenzen. Mir ist nicht wohl dabei, den Freunden der Toten falsche Hoffnungen zu machen, aber vielleicht mildert es ja auch den Schock – ich meine, wenn sie ein paar Tage haben, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie vielleicht nicht durchkommt … «
    Es sah ganz so aus, als würde es ein wunderschöner Tag werden. Die Sonne trocknete das Gras, und es war so still, dass ich die winzigen Insekten hören konnte, die um die Wildblumen schwirrten. Irgendetwas an den grünen Hügeln machte mich nervös, irgendetwas Hartnäckiges und Verstohlenes, als würde einem der Rücken zugedreht. Ich brauchte einen Moment, um zu ergründen, was es war: Sie waren menschenleer. Aus ganz Glenskehy war nicht ein einziger Mensch hergekommen, um zu sehen, was los war.
    Sobald wir auf dem Weg waren, durch Bäume und Hecken vor den anderen abgeschirmt, zog Sam mich an sich.
    »Ich hab gedacht, du bist es«, sagte er in mein Haar. Seine Stimme war tief und zittrig. »Ich hab gedacht, du bist es.«

2
    Die nächsten drei Tage hockte ich nicht die ganze Zeit vor der Glotze, wie ich zu Frank gesagt hatte. Ich kann sowieso nicht gut stillsitzen, und wenn ich nervös bin, muss ich mich bewegen. Also – ich habe mich ja für den Job entschieden, weil er so aufregend ist – machte ich sauber. Ich schrubbte, staubsaugte und wienerte jeden Quadratzentimeter meiner Wohnung, einschließlich Fußleisten und Backofen. Ich nahm die Vorhänge ab, wusch sie in der Wanne und hängte sie zum Trocknen an die Feuerleiter. Ich legte meine Bettdecke über die Fensterbank und klopfte mit einem Pfannenwender den Staub heraus. Ich hätte die Wände neu gestrichen, wenn ich Farbe gehabt hätte. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, meine bescheuerte Verkleidung überzuziehen und den nächsten Baumarkt aufzusuchen, aber ich hatte Frank versprochen, nicht vor die Tür zu gehen, also putzte ich stattdessen die Rückseite des Spülkastens.
    Und ich dachte darüber nach, was Frank zu mir gesagt hatte: aber doch nicht bei dir … Nach dem Knocknaree-Fall hatte ich mich versetzen lassen. Im Vergleich zum Morddezernat ist das Dezernat für häusliche Gewalt zwar keine große Herausforderung, aber bei Gott, es ist friedlich, so seltsam die Wortwahl vielleicht auch anmutet, ich weiß. Entweder hat einer einen anderen geschlagen oder nicht, so einfach ist das, und es geht nur darum herauszufinden, wer es war und wie er in Zukunft daran gehindert werden kann. Das DHG ist unkompliziert, und es ist unzweifelhaft nützlich, und genau das brauchte ich, dringend. Ich war hohe Risiken und moralische Dilemmas und Komplikationen so verdammt satt.
    Aber doch nicht bei dir ; bist du etwa’n Schreibtischhengst geworden? Mein hübsches Arbeitskostüm, das gebügelt und für Montag anziehbereit an der Kleiderschranktür hing, bereitete mir ein mulmiges Gefühl. Schließlich konnte ich es nicht mehr sehen. Ich warf es in den Schrank und knallte die Tür zu.
    Und natürlich musste ich die ganze Zeit, bei allem, was ich gerade tat, an die Tote denken. Ich hatte das Gefühl, in ihrem Gesicht hätte es irgendeinen Anhaltspunkt geben müssen, irgendeine geheime Botschaft in einem Code, den ich allein hätte entschlüsseln können, wenn ich nur einen klaren Kopf behalten oder die Zeit gehabt hätte, ihn zu entdecken. Wäre ich noch im Morddezernat gewesen, hätte ich mir eine Fotografie vom Tatort oder eine Kopie vom Studentenausweis unter den Nagel gerissen, um sie mir zu Hause in Ruhe anzuschauen. Sam hätte mir eine vorbeigebracht, wenn ich drum gebeten hätte, aber das tat ich nicht.
    Irgendwo da draußen, irgendwann in diesen drei Tagen würde Cooper die Obduktion vornehmen. Der Gedanke machte mich kirre.
    Ich war noch nie jemandem begegnet, der mir auch nur annähernd ähnlich sah. In Dublin wimmelt es nur so von unheimlichen Frauen, die in Wahrheit, das schwöre ich hoch und heilig, ein und dieselbe Person sind oder zumindest das Produkt derselben Selbstbräunertube. Ich dagegen bin vielleicht keine Fünfsternefrau, aber dafür bin ich unverwechselbar.

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