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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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abweisend, so wie ein Haus manchmal wirkt, wenn du noch einmal nach unten kommst, nachdem du Türen und Fenster für die Nacht geschlossen hast: fremd, zurückgezogen, ganz auf sich selbst konzentriert. Nirgendwo ein Zettel; die anderen waren vermutlich doch spazieren gegangen, um sich den Kater von der frischen Luft wegpusten zu lassen.
    Ich goss mir eine Tasse kalten Kaffee ein und trank ihn gegen die Spüle gelehnt, während ich zum Fenster hinausschaute. Das Licht wurde eben erst golden und honigfarben, und Schwalben schossen zwitschernd tief über den Rasen. Ich stellte die Tasse in die Spüle und ging nach oben in mein Zimmer, bewegte mich unwillkürlich leise und stieg über die knarrende Stufe hinweg.
    Als ich die Hand auf die Türklinke legte, hatte ich das Gefühl, als würde das Haus sich sammeln und um mich zusammenziehen. Noch ehe ich die Tür öffnete, noch ehe ich den schwachen Hauch Tabakrauch in der Luft roch und seine Silhouette sah, breitschultrig und reglos auf dem Bett, wusste ich, dass Daniel da war.
    Das Licht durch die Vorhänge schimmerte blau auf seiner Brille, als er mir den Kopf zuwandte. »Wer bist du?«, fragte er.
    Ich dachte so schnell, wie selbst Frank es sich je von mir wünschen könnte, hatte schon einen Finger an die Lippen gehoben, damit er kein Wort mehr sagte, während meine andere Hand auf den Lichtschalter schlug, und dann rief ich: »Hey, ich bin’s, wer denn sonst!« Ich dankte Gott, dass Daniel ein so verschrobener Typ war, dass seine Frage Wer bist du? Frank vielleicht doch nicht stutzig gemacht hatte. Seine Augen ruhten wachsam auf meinem Gesicht, und er war zwischen mir und dem Koffer. »Wo sind denn alle?«, fragte ich ihn und riss die Knöpfe meines Oberteils auf, damit er das winzige Mikro sehen konnte, das an meinem BH klemmte, den Draht, der nach unten in den weißen Verband führte.
    Daniels Augenbrauen hoben sich, nur minimal. »Die sind in die Stadt gefahren, ins Kino«, sagte er ruhig. »Ich hatte noch ein paar Sachen hier zu erledigen. Wir wollten dich nicht wecken.«
    Ich nickte, hob anerkennend einen Daumen und ging dann langsam in die Knie, um meinen Koffer unter dem Bett hervorzuholen, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Die Spieldose auf dem Nachttisch, robust und scharfkantig und in Reichweite: Falls nötig, müsste ich ihn damit lange genug außer Gefecht setzen können, um das Weite zu suchen. Aber Daniel rührte sich nicht. Ich stellte die Kombination ein, öffnete den Koffer, fand meinen Polizeiausweis und warf ihn ihm zu.
    Er sah ihn sich genau an. »Hast du gut geschlafen?«, fragte er förmlich.
    Er hatte den Kopf über den Ausweis gebeugt und schien ihn gründlich zu studieren. Meine Hand lag nur wenige Zentimeter von meinem Revolver entfernt. Aber wenn ich versuchte, die Waffe in den Hosenbund zu schieben, und er in dem Moment aufblickte – nein. Ich zog den Reißverschluss des Koffers zu und verschloss ihn wieder. »Nicht berauschend«, sagte ich. »Ich hab immer noch einen Brummschädel. Ich werd ein bisschen lesen, vielleicht hilft das ja. Bis später, ja?« Ich wedelte mit der Hand, damit Daniel mich ansah, ging zur Tür und winkte ihm, mir zu folgen.
    Er warf einen letzten Blick auf meinen Ausweis, legte ihn dann sorgfältig auf den Nachttisch. »Ja«, sagte er. »Bis später.« Er stand vom Bett auf und folgte mir nach unten.
    Er bewegte sich sehr leise für seine Größe. Den ganzen Weg die Treppe hinunter spürte ich ihn im Rücken, und ich wusste, dass ich eigentlich Angst haben müsste – ein Schubs genügte –, aber ich hatte keine: Adrenalin durchströmte mich wie ein Wildwasserfluss, und ich hatte noch nie im Leben weniger Angst gehabt. Tiefenrausch, hatte Frank das mal genannt und mir dringend geraten, mich dadurch nicht täuschen zu lassen: Undercovercops können wie Tiefseetaucher in einer Euphorie der Schwerelosigkeit ertrinken, aber im Augenblick war mir das egal.
    Daniel blieb in der Tür zum Wohnzimmer stehen und beobachtete mich interessiert, während ich leise »Oh Johnny, How You Can Love« vor mich hin summte und die Schallplatten durchsah. Ich nahm Faurés Requiem heraus, legte es zusammen mit den Violinsonaten auf – Frank sollte schließlich was Gutes zu hören bekommen, zur Erweiterung seines kulturellen Horizonts –, und dann drehte ich die Lautstärke schön hoch. Ich ließ mich hörbar in meinen Sessel plumpsen, seufzte zufrieden und blätterte ein paar Seiten in meinem Notizbuch um. Dann löste ich ganz

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