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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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wenn du mit ihrer Diss kein bisschen weiterkommst, he, was sollen sie erwarten? Makabrerweise kommt uns da die Stichwunde gelegen: Wir könnten dir ein posttraumatisches Stresssyndrom verpassen, Amnesie, ganz wie wir wollen.«
    »Hat sie einen Freund?« Ich bin ja bereit, viel für einen Job zu tun, aber nicht alles.
    »Nein, deine Tugend ist nicht in Gefahr. Und da ist noch was, was wir nützen können. Du hast ja die Fotos gesehen. Unser Mädel hatte ein Videohandy, und offenbar haben die fünf es als gemeinsamen Camcorder benutzt. Die Bildqualität ist nicht überragend, aber die Speicherkarte ist gigantisch und voll mit Clips – sie und ihre Freunde bei netten Abenden, beim Picknicken, beim Einzug ins neue Haus, beim Renovieren, alles. Du hast also eine praktische Anleitung für ihre Stimme, ihre Körpersprache, Eigenheiten, ihren Umgang mit den anderen – alles, was dein Herz begehrt. Und du bist gut, Cassie. Du bist undercover sogar erste Sahne. Wenn man das alles zusammennimmt, würde ich sagen, wir haben eine ziemlich gute Chance, das Ding durchzuziehen.«
    Er kippte sein Glas steil nach oben, um die letzten Tropfen zu erwischen, und griff dann nach seiner Jacke. »War schön, mit dir zu quatschen, Kleines. Du hast meine Handynummer. Sag mir Bescheid, wenn du dich wegen morgen Abend entschieden hast.«
    Und er ging. Erst als sich die Tür hinter ihm schloss, wurde mir klar, was für Fragen mir rausgerutscht waren, zu ihrer Promotion, ob sie einen Freund hatte, als würde ich den Plan auf Schwachstellen überprüfen; als würde ich mit dem Gedanken spielen, es zu tun.

    Frank hatte schon immer die Gabe, genau zu wissen, wann er eine Sache erst mal ruhen lassen sollte. Nachdem er gegangen war, saß ich lange auf der Fensterbank, starrte hinaus über die Dächer, ohne sie zu sehen. Erst als ich aufstand, um mir noch ein Glas Wein zu holen, sah ich, dass er etwas auf meinem Couchtisch liegen gelassen hatte.
    Es war das Foto von Lexie und ihren Freunden vor Whitethorn House. Ich stand da, die Weinflasche in der einen Hand, das Glas in der anderen, und erwog, es umzudrehen und liegen zu lassen, bis Frank aufgab und es wieder abholte; erwog für einen Moment, es im Aschenbecher zu verbrennen. Dann nahm ich es und ging damit zur Fensterbank.
    Sie hätte mein Alter haben können. Sie hatte sich als Sechsundzwanzigjährige ausgegeben, aber sie hätte auch neunzehn sein können oder dreißig. Sie hatte keinen einzigen Makel im Gesicht, keine Falte oder Narbe, keinen Pickel. Was immer das Leben ihr beschert hatte, ehe Lexie Madison ihr in den Schoß gefallen war, es war über sie hinweggerollt und verflogen wie Dunst, und sie war unangetastet und makellos geblieben, versiegelt ohne einen Riss. Ich sah älter aus als sie: Der Knocknaree-Fall hatte mir meine ersten Falten um die Augen beschert und Schatten darunter, die auch dann nicht weggingen, wenn ich gut geschlafen hatte. Ich konnte Frank förmlich hören: Du hast jede Menge Blut verloren und tagelang im Koma gelegen, die Ringe unter den Augen sind perfekt, benutz bloß keine Nachtcreme.
    Ihre Mitbewohner rechts und links von ihr betrachteten mich, gelassen und lächelnd, lange, dunkle, wallende Mäntel, Rafes Schal ein knallroter Fleck. Die Aufnahme war leicht schief. Sie hatten die Kamera auf irgendetwas draufgestellt, den Selbstauslöser benutzt. Auf der anderen Seite stand kein Fotograf, der sie aufforderte zu lachen. Das Lächeln auf ihren Lippen war etwas ganz Privates, nur füreinander bestimmt, für ihr zukünftiges Selbst, wenn sie sich auf dem Foto sahen, für mich.
    Und hinter ihnen, fast das ganze Foto ausfüllend, Whitethorn House. Es war ein schlichtes Haus: breit und grau, im Stil der Jahrhundertwende, dreigeschossig, mit Schiebefenstern, die nach oben hin kleiner wurden, um die Illusion von noch mehr Höhe zu erzeugen. Die Tür war tiefblau, die Farbe blätterte großflächig ab. Steintreppen führten von beiden Seiten zu ihr hinauf. Drei gerade Reihen Schornsteine, dicke Efeuranken, die sich an den Mauern bis fast zum Dach hinaufreckten. Die Tür hatte kannelierte Säulen und ein Oberlicht in Form eines Pfauenrads, aber abgesehen davon gab es keine Verzierungen – bloß das Haus.
    Die Leidenschaft dieses Landes für Haus- und Grundbesitz steckt den Menschen tief im Blut, eine Triebkraft so gewaltig und ursprünglich wie Begierde. Wer jahrhundertelang hilflos den Launen von Vermietern ausgeliefert war und auf die Straße gesetzt wurde, hat gelernt,

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