Totengleich
dass das Wichtigste im Leben die eigenen vier Wände sind. Aus diesem Grund sind die Hauspreise auch so, wie sie sind: Immobilieninvestoren wissen, dass sie Unsummen für eine verkommene Zweizimmerwohnung verlangen können. Wenn sie sich zusammenschließen und dafür sorgen, dass es keine Alternative gibt, verkaufen die Iren notfalls eine Niere, schuften hundert Stunden die Woche und bezahlen. Irgendwie – vielleicht weil in meinen Adern auch französisches Blut fließt – fehlt mir dieses Gen. Der Gedanke, eine Hypothek am Hals zu haben, macht mich nervös. Ich bin froh, dass meine Wohnung gemietet ist, vier Wochen Kündigungsfrist und ein paar Mülltüten, und ich bin weg, wann ich will.
Aber wenn ich je ein Haus hätte haben wollen, dann so eins wie das auf dem Foto. Es hatte nichts gemein mit den charakterlosen Möchtegernhäusern, die alle meine Freunde sich kauften, mickrige Schuhkartons irgendwo am Arsch der Welt, die mit hochtrabenden Euphemismen angepriesen werden (»Individuelles Architekten-Einfamilienhaus in topmoderner Luxuswohnlage«), das Zwanzigfache deines Jahreseinkommens kosten und gerade mal so lange halten, bis der Makler sie losgeworden ist. Das Haus hier war etwas Reelles, ein solides Ich-versteh-keinen-Spaß-Haus, mit so viel Stärke und Stolz und Anmut, dass es jeden überdauern würde, der es sah. Winzige tanzende Schneeflocken verschleierten den Efeu und hingen in den dunklen Fenstern, und die Stille, die es verströmte, war so immens, dass ich das Gefühl hatte, die Hand einfach durch die glänzende Oberfläche des Fotos und hinein in seine kühlen Tiefen stecken zu können.
Ich könnte herausbekommen, wer die Frau war und was mit ihr passiert war, ohne das Haus je zu betreten. Sam würde es mir erzählen, wenn sie sie identifiziert hatten oder jemanden als Täter verdächtigten. Wahrscheinlich würde er mich sogar beim Verhör zuschauen lassen. Aber ganz tief in meinem Innern wusste ich, dass er eben nur das je finden würde, ihren Namen und den Mörder, und dass ich mir über alles andere bis an mein Lebensende den Kopf zerbrechen würde. Das Haus schimmerte in meinen Gedanken wie ein Feenschloss, das einem nur ein einziges Mal im Leben erschien, betörend und verheißungsvoll, mit diesen vier coolen Gestalten als Wächter und mit verborgenen Geheimnissen, die zu nebelhaft waren, um sie benennen zu können. Mein Gesicht war der einzige Passierschein, der die Tür entriegeln konnte. Whitethorn House wartete nur darauf, sich in Windeseile in nichts aufzulösen, sobald ich nein sagte.
Ich merkte, dass das Foto nicht mal zehn Zentimeter vor meiner Nase war. Es wurde dunkel, so lange saß ich schon da, und die Eulen machten ihre Aufwärmübungen über der Decke. Ich trank den Wein aus und sah das Meer gewittergrau werden, das Blinken des Leuchtturms fern am Horizont. Als ich meinte, betrunken genug zu sein, um mir nichts aus seiner hämischen Freude zu machen, simste ich Frank: Wie viel Uhr ist die Besprechung?
Mein Handy piepste zehn Sekunden später: Punkt 7, bis dahin . Er hatte sein Handy griffbereit gehabt, auf mein Ja gewartet.
Am Abend stritten Sam und ich uns zum ersten Mal. Wahrscheinlich war das überfällig, schließlich hatten wir in den drei Monaten, die wir zusammen waren, nicht mal eine harmlose Meinungsverschiedenheit gehabt, aber der Zeitpunkt hätte übler nicht sein können.
Die Beziehung zwischen Sam und mir begann ein paar Monate nachdem ich das Morddezernat verlassen hatte. Ich weiß nicht genau, wie das passierte. Ich kann mich an vieles aus dieser Zeit nicht mehr erinnern. Offenbar hatte ich mir ein paar richtig triste Pullover gekauft, so welche, die man nur trägt, wenn man sich im Grunde bloß für einige Tage im Bett verkriechen will, was mich gelegentlich zu der Frage brachte, wie klug eine Beziehung sein konnte, die ich im selben Zeitraum eingegangen war. Sam und ich waren uns in der SOKO Vestalin nähergekommen, blieben uns nahe, nachdem die Mauern eingestürzt waren – solche Alptraumfälle bewirken das bei einem, das oder das Gegenteil –, und ehe der Fall zu Ende war, hatte ich längst erkannt, dass Sam Gold wert war, aber eine Beziehung, egal, mit wem, war das Letzte, was ich im Sinn hatte.
Er kam gegen neun. »Hi, du«, sagte er, gab mir einen Kuss und umarmte mich fest. Seine Wange war kalt vom Wind draußen. »Was riecht denn hier so gut?«
Die Wohnung roch nach Tomaten und Knoblauch und Kräutern. Eine komplizierte Soße köchelte auf dem
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