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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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zu Frank. »Danke für alles.«
    Wir schüttelten uns die Hand. »Gern geschehen«, sagte Frank. »Und keine Sorge, Miss Madison: Wir kriegen den Kerl.«
    Er zog den Koffergriff mit einem scharfen Klack heraus und reichte ihn mir, und ich zog ihn über den Kies auf die Treppe und die anderen zu.
    Noch immer rührte sich keiner. Als ich näher kam, änderte sich mein Blickwinkel, und ich registrierte schlagartig die geraden Rücken, die erhobenen Köpfe: Zwischen den vieren herrschte eine Spannung, so straff, dass sie in der Stille schrill summte. Die Rollen meines Koffers, die über den Kies knirschten, klangen wie lautes Maschinengewehrfeuer.
    »Hi«, sagte ich am Fuß der Treppe und blickte zu ihnen hinauf.
    Eine Sekunde lang dachte ich, sie würden nicht reagieren, sie hätten mich bereits durchschaut, und ich fragte mich hektisch, was ich jetzt bloß tun sollte. Dann trat Daniel einen Schritt vor, und das Bild flackerte und brach auseinander. Ein Lächeln machte sich auf Justins Gesicht breit, Rafe nahm Haltung an und winkte mit einer Hand, und Abby kam die Stufen heruntergerannt und umarmte mich fest.
    »He, du«, sagte sie lachend, »willkommen zu Haus.« Ihr Haar roch nach Kamille. Ich ließ den Koffer los und erwiderte die Umarmung. Es war ein seltsames Gefühl, als würde ich jemanden aus einem alten Gemälde berühren, erstaunt, dass ihre Schulterblätter so warm und fest waren wie meine. Daniel nickte mir über ihren Kopf hinweg ernst zu und wuschelte mir durchs Haar, Rafe schnappte sich meinen Koffer und zog ihn holpernd die Stufen hoch zur Tür, Justin tätschelte mir wieder und wieder den Rücken, und auch ich lachte, und ich hörte nicht mal, dass Frank den Wagen anließ und davonfuhr.

    Mein erster Gedanke, als ich Whitethorn House betrat, war: Hier bin ich schon mal gewesen . Er zischte glatt durch mich hindurch, riss meine Wirbelsäule gerade wie ein Beckenschlag. Eigentlich war es kein Wunder, dass mir alles so vertraut vorkam, schließlich hatte ich mir stundenlang Fotos und Videoclips angesehen, aber es war mehr als das. Es war der Geruch, altes Holz und Teeblätter und ein schwacher Hauch getrockneter Lavendel; es war das Licht, wie es über die verschrammten Dielenbretter fiel; es war der Hall unserer Schritte, der die Treppe hinaufflog und oben leise durch die Flure klang. Ich hatte ein Gefühl – und man könnte denken, es hätte mir gefallen, aber dem war nicht so, es blitzte mir warnschildrot durch den Kopf –, als würde ich nach Hause kommen.
    Ab da ist fast der ganze Abend verschwommen wie ein Karussell, Farben und Bilder und Stimmen wirbelten zu einem wirren Bild ineinander, so intensiv, dass es beinahe weh tat. Eine Deckenrosette und eine gesprungene Porzellanvase, ein Klavierhocker und eine Schüssel mit Orangen, laufende Füße auf Treppen und ein anschwellendes Lachen. Abbys Finger klein und stark um mein Handgelenk, als sie mich auf die geflieste Terrasse hinter dem Haus führt, verschnörkelte Eisenstühle, eine alte Korbschaukel, die in der leichten würzigen Brise schwankt; eine weite Grasfläche, die sich bis zu hohen, in Bäumen und Efeu verborgenen Steinmauern erstreckt, ein Vogelschatten, der über die Pflastersteine huscht. Daniel, der mir eine Zigarette anzündet, eine Hand schützend um das Streichholz und sein gebeugter Kopf nur wenige Zentimeter von meinem. Der volle Klang ihrer Stimmen traf mich wie ein Schock, nachdem sie sich auf den Videoclips fast tonlos angehört hatten, und ihre Augen waren so klar, dass sie mir auf der Haut brannten. Noch immer habe ich manchmal beim Aufwachen eine ihrer Stimmen nah und deutlich im Ohr, direkt aus jenem Tag gefallen: Komm her , ruft Justin, komm raus, der Abend ist herrlich ; oder Abby sagt, Wir müssen uns überlegen, was wir mit dem Kräutergarten machen, aber wir haben auf dich gewartet, was meinst du – und ich bin wach, und sie sind fort.
    Ich muss auch geredet haben, irgendwo da mittendrin, aber ich kann mich kaum noch erinnern, was ich gesagt habe. Ich weiß nur noch, dass ich versucht habe, mein Gewicht vorn auf die Fußballen zu legen, wie Lexie das getan hat, höher zu sprechen, in ihrer Stimmlage, Augen und Schultern und Zigaretten im richtigen Winkel zu halten, bemüht, mich nicht zu viel umzusehen und mich nicht zu schnell zu bewegen, ohne vor Schmerz das Gesicht zu verziehen, und nichts Idiotisches zu sagen und nicht gegen die Möbel zu stoßen. Und Gott, wieder der Geschmack der Undercoverarbeit auf der Zunge,

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