Totengrund
kein Picknick, also will ich nur die fittesten Männer dabeihaben.« Er hielt inne und sah Loftus an, der sehr wohl wusste, was dieser Blick zu bedeuten hatte.
»Wollen Sie mir vielleicht sagen, dass ich nicht mitgehen soll?«, fragte Loftus.
»Ich habe gar nichts gesagt, Monty.«
»Ich halte länger durch als ihr alle miteinander. Und ich kenne diese Gegend besser als irgendwer sonst. Das ist ja praktisch bei mir um die Ecke.« Loftus stand auf. Obwohl sein Haar silbergrau war und sein Gesicht tief zerfurcht von Jahrzehnten in Wind und Wetter, erweckte er den Eindruck, als könnte er es an Zähigkeit mit jedem anderen Mann im Saal aufnehmen. »Machen wir kurzen Prozess mit dem Burschen. Ehe noch jemand dran glauben muss.« Er setzte seinen Hut auf und stapfte hinaus.
Während die anderen ebenfalls den Saal verließen, sah Jane die Sozialarbeiterin von ihrem Platz aufstehen und rief ihr zu: »Ms. Weiss?«
Die Frau drehte sich um, als Jane auf sie zuging. »Ja?«
»Wir sind uns ja noch nicht vorgestellt worden. Ich bin Detective Rizzoli.«
»Ich weiß. Sie gehören zu diesen Leuten aus Boston.« Cathy sah zu Gabriel und Sansone hinüber, die noch ihre Jacken anzogen. »Sie haben hier in der Stadt für ziemlichen Wirbel gesorgt.«
»Können wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten? Über Julian Perkins?«
»Sie meinen, jetzt gleich?«
»Ehe diese Leute ihn und unsere Freundin für Zielübungen benutzen.«
Cathy sah auf ihre Uhr und nickte. »Gleich um die Ecke ist ein Café. Treffen wir uns in zehn Minuten dort.«
Es wurden dann doch eher zwanzig Minuten. Als Cathy endlich in das Café platzte, ihr Haar wirr und vom Wind zerzaust, hing Tabaksgeruch in ihren zerknitterten, ohnehin schon gründlich geräucherten Kleidern, und Jane wusste, dass sie sich auf eine schnelle Zigarette in ihr Auto zurückgezogen hatte. Ihre Bewegungen wirkten fahrig, als sie sich zu Jane an den Tisch setzte.
»Wo sind denn Ihre beiden Begleiter?«, fragte Cathy mit Blick auf die leeren Plätze.
»Sie sind eine Campingausrüstung kaufen gegangen.«
»Dann wollen sie sich morgen dem Suchtrupp anschließen?«
»Ich kann es ihnen nicht ausreden.«
Cathy musterte sie mit einem langen, nachdenklichen Blick. »Sie haben ja alle keine Ahnung, worauf Sie sich da einlassen.«
»Ich hatte gehofft, dass ich das von Ihnen erfahren könnte.«
Die Bedienung kam mit der Kaffeekanne an ihren Tisch. »Für dich auch einen, Cathy?«, fragte sie.
»Ist hoffentlich schön stark.«
»Klar, wie immer.«
Cathy wartete, bis die Kellnerin gegangen war, ehe sie weitersprach. »Die Situation ist kompliziert.«
»So, wie es vorhin im Saal dargestellt wurde, klang es aber recht einfach: Schickt den Suchtrupp aus und bringt den Polizistenmörder zur Strecke.«
»Sicher. Weil die Leute immer die simplen Erklärungen vorziehen. Schwarz und weiß, richtig und falsch. Julian als jugendlicher Schwerverbrecher.« Cathy trank ihren Kaffee ohne Milch und Zucker, kippte das bittere Gebräu hinunter, ohne mit der Wimper zu zucken. »Aber das ist er nicht.«
»Was ist er denn?«
Cathy fixierte Jane mit ihrem durchdringenden Blick. »Haben Sie schon einmal von den ›Lost Boys‹ gehört?«
»Ich bin mir nicht sicher, was Sie meinen.«
»Das sind junge Männer, meist noch Teenager, die von ihren Familien verstoßen werden. Sie landen auf der Straße und müssen sich allein durchschlagen. Nicht etwa, weil sie irgendetwas Schlimmes getan hätten, sondern einfach nur, weil sie Jungen sind. In ihren Gesellschaften stellt das allein schon einen verhängnisvollen Makel dar.«
»Weil Jungen Ärger machen?«
»Nein, weil sie Konkurrenten sind und die älteren Männer sie gerne loswerden wollen. Sie wollen die Mädchen für sich allein.«
Plötzlich begriff Jane. »Sie sprechen von polygamen Gesellschaften.«
»Genau. Diese Gruppierungen haben nichts mit der offiziellen Kirche der Mormonen zu tun. Es sind Splittergruppen, die sich um charismatische Führer scharen. Sie finden sie in einer ganzen Reihe von Bundesstaaten. Colorado und Arizona, Utah und Idaho. Und auch hier in Sublette County, in Wyoming.«
»Die Zusammenkunft?«
Cathy nickte. »Es ist eine Sekte, angeführt von einem selbst ernannten Propheten namens Jeremiah Goode. Vor zwanzig Jahren hat er begonnen, in Idaho die ersten Anhänger anzuwerben. Sie haben nordwestlich von Idaho Falls eine Siedlung gegründet, die sich Plain of Angels nannte. Daraus erwuchs im Lauf der Zeit eine Gemeinschaft mit rund
Weitere Kostenlose Bücher