Totengrund
unablässig an ihrem Arm, zog mit solcher Entschlossenheit, dass sie schon dachte, er würde sie eigenhändig den Berg hinaufschleppen, ob sie nun mitspielte oder nicht. Wohl oder übel ließ sie sich noch ein paar Schritte mitziehen.
Da hörte sie plötzlich ein hölzernes Knacken, und im gleichen Moment durchzuckte ein jäher Schmerz ihr rechtes Sprunggelenk, als der beschädigte Schneeschuh unter ihrem Gewicht entzweibrach. Sie kippte nach vorn, riss die Arme hoch, um den Sturz abzufangen, und versank bis zu den Ellbogen im Schnee. Prustend und keuchend versuchte sie, sich aufzurappeln, doch ihr rechter Fuß bewegte sich keinen Millimeter.
Rat schlang einen Arm um ihre Hüfte und versuchte, sie loszureißen.
»Stopp!«, schrie sie. »Mein Fuß steckt fest.«
Er ließ sich auf den Boden fallen und begann, den Schnee wegzuschaufeln. Bear stand daneben und sah verwirrt zu, wie sein Herr in Hundemanier fieberhaft buddelte. »Ihr Schuh klemmt zwischen den Felsen fest. Ich krieg ihn nicht raus!« Er sah zu ihr auf, Panik in den Augen. »Ich werde jetzt ziehen. Vielleicht schaffe ich es ja, Ihren Fuß aus dem Schuh zu ziehen. Aber es wird wehtun.«
Sie sah hinunter ins Tal. Jeden Moment, dachte sie, werden diese Männer in Schussweite sein, und dann werden sie mich hier finden, hilflos wie eine angebundene Ziege. So wollte sie nicht sterben; schutzlos ihren Verfolgern ausgeliefert. Sie holte tief Luft und nickte Rat zu. »Also gut.«
Er schlang beide Hände um ihren Knöchel und begann zu ziehen. Ächzend und stöhnend zerrte er mit aller Macht, so fest, dass sie glaubte, er würde ihren Fuß zerreißen. Es tat so weh, dass ihr unwillkürlich ein Schrei entfuhr. Dann glitt ihr Fuß plötzlich aus dem Schuh, und sie fiel hinterrücks in den Schnee.
»Es tut mir leid, es tut mir leid!«, rief Rat. Sie roch seinen Angstschweiß, hörte ihn in der Kälte nach Luft schnappen, als er sie unter den Achseln packte und hochzog. Ihr rechter Fuß war nur mit einer Wollsocke bekleidet, und als sie ihn belastete, versank ihr Bein bis zum Knie im Schnee.
»Stützen Sie sich auf mich. Zusammen schaffen wir es.« Er schlang ihren Arm um seinen Hals und fasste sie um die Hüfte. »Kommen Sie«, drängte er. »Sie können es schaffen. Ich weiß, dass Sie es können.«
Aber schaffst du es? Mit jedem Schritt, den sie gemeinsam machten, spürte sie, wie seine Muskeln sich anspannten. Wenn ich je einen Sohn hätte, dachte sie, würde ich mir wünschen, dass er so ist wie dieser Junge. So loyal, so mutig wie Julian Perkins. Sie klammerte sich fester an ihn, und die Wärme ihrer Körper mischte sich, während sie sich den Berg hinaufkämpften. Dieser Junge war der Sohn, den sie nie gehabt hatte und den sie wahrscheinlich nie haben würde. Schon jetzt waren sie durch ein unlösbares Band verbunden, geschmiedet im Kampf ums Überleben. Und ich werde nicht zulassen, dass sie ihm etwas antun.
Ihre Schneeschuhe knarrten im Takt, und Mauras dampfender Atem vereinigte sich mit seinem zu einer einzigen Wolke. Ihre ungeschützte Socke war schon klatschnass, und ihre Zehen schmerzten in der Kälte. Bear sprang vor ihnen her, doch sie selbst kamen nur langsam voran, entsetzlich langsam. Ihren Verfolgern entging gewiss keine ihrer Bewegungen auf diesem kahlen Berghang.
Sie hörte Bear knurren und blickte auf. Der Hund stand regungslos da, die Ohren angelegt. Aber er sah nicht zu ihren Verfolgern im Tal hinunter, sondern zu einem Plateau über ihnen, wo sich etwas Dunkles bewegte.
Ein Gewehrschuss krachte, und das Echo rollte wie Donner zwischen den Felsgipfeln.
Maura spürte, wie Rat taumelte und gegen sie fiel. Plötzlich sackte die Schulter, die sie gestützt hatte, zusammen, und sein Arm glitt von ihrer Hüfte. Als er in den Knien einknickte, war sie es, die ihn zu halten versuchte, doch sie war nicht stark genug. Sie konnte nur noch seinen Sturz aufhalten, als er zu Boden sank. Er fiel neben ein paar verstreuten Felsbrocken hin und blieb auf dem Rücken liegen, als wollte er einen Schneeengel machen. Da erst bemerkte sie die Blutspritzer im Schnee.
»Nein«, schrie sie. »O Gott, nein !«
»Gehen Sie«, flüsterte er.
»Rat, Schatz«, murmelte sie, während sie krampfhaft gegen die Tränen ankämpfte und versuchte, ihre Stimme ruhig zu halten. »Du wirst schon wieder. Ich schwöre dir, es wird alles gut, mein Engel.«
Sie zog den Reißverschluss seiner Jacke auf und starrte entsetzt auf den Fleck, der sich rapide auf seinem Hemd
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