Totengrund
ausbreitete. Sie zerriss den Stoff und legte die Wunde frei, die das Geschoss in seine Brust geschlagen hatte. Er atmete noch, aber seine Drosselvenen waren geweitet, schwollen an wie dicke blaue Schläuche. Sie befühlte seine Haut und spürte das ominöse knisternde Rasseln, verursacht von der Luft, die aus seiner Lunge in den Brustkorb entwich und in das weiche Gewebe eindrang, die sein Gesicht und seinen Hals aufzublähen begann. Die Kugel hat den rechten Lungenflügel durchschlagen. Pneumothorax.
Bear war mit ein paar Sätzen bei ihnen und leckte Rats Gesicht, während der Junge mühsam zu sprechen versuchte. Maura musste den Hund wegschieben, um Rat verstehen zu können.
»Sie kommen«, flüsterte er. »Benutzen Sie die Pistole. Nehmen Sie sie …«
Sie sah auf die Waffe des Deputys, die er aus seiner Jackentasche gezogen hatte. So wird es also enden, dachte sie. Ihre Angreifer hatten sie nicht vorgewarnt, hatten nicht einmal einen Versuch gemacht, zu verhandeln. Der erste Schuss war schon ein gezielter Todesschuss gewesen. Sie würden ihnen nicht die Chance geben, sich zu ergeben; es lief auf eine Hinrichtung hinaus.
Und der nächste Schuss würde ihr gelten.
Maura rappelte sich auf, um über die Felsen hinwegzuspähen. Ein einzelner Mann kam vom Gipfel herab auf sie zu. In der Hand hielt er ein Gewehr.
Bear knurrte und bellte drohend, doch ehe er hinter der Deckung der Felsbrocken hervorspringen konnte, fasste Maura sein Halsband und befahl: »Bleib. Bleib. «
Rats Lippen waren dunkelblau angelaufen. Mit jedem seiner Atemzüge gelangte Luft aus dem perforierten Lungenflügel in seine Brusthöhle, von wo sie nicht entweichen konnte. Der Druck stieg unaufhaltsam an, quetschte den Lungenflügel zusammen und verschob alle Organe im Brustraum. Wenn ich nicht sofort handle, dachte sie, wird er sterben.
Sie riss Rats Rucksack auf und durchwühlte den Inhalt, bis sie sein Messer gefunden hatte. Als sie es aufklappte, stellte sie fest, dass die Klinge mit Rost und Schmutz verschmiert war. Steril oder nicht, hol’s der Teufel – er hatte nur noch Minuten zu leben.
Bear bellte wieder – es klang so panisch, dass sie herumwirbelte, um zu sehen, was ihn so alarmierte. Jetzt blickte er talwärts, wo ein Dutzend Männer zu ihnen heraufstiegen. Ein Mann mit einem Gewehr über uns. Noch mehr bewaffnete Männer, die sich von unten nähern. Und wir sitzen dazwischen in der Falle.
Sie sah auf die Pistole, die neben Rat in den Schnee gefallen war. Die Waffe des Deputys. Wenn das alles vorbei wäre, wenn sie und Rat beide tot wären, würde diese Waffe als Beweis dafür herhalten müssen, dass sie Polizistenmörder waren. Niemand würde je die Wahrheit erfahren.
»Mommy.« Seine Stimme war kaum mehr ein Flüstern. Das leise Flehen eines Kindes von den Lippen eines sterbenden jungen Mannes. »Mommy.«
Sie beugte sich tief über den Jungen und berührte seine Wange. Obwohl sein Blick auf sie gerichtet war, schien er jemand anderen zu sehen. Ein Gesicht, bei dessen Anblick seine Lippen sich langsam zu einem schwachen Lächeln formten.
»Ich bin hier, Schatz.« Sie blinzelte, als Tränen ihr über die Wangen rollten und ihre Haut kühlten. »Deine Mommy wird immer bei dir sein.«
Das Knacken eines brechenden Zweigs ließ sie erstarren. Sie hob den Kopf, um über den Felsbrocken zu spähen, und sah den Mann mit dem Gewehr im gleichen Moment, als er sie sah.
Er feuerte.
Die Kugel spritzte ihr Schnee in die Augen, und sie ließ sich neben dem sterbenden Jungen auf die Erde fallen.
Keine Verhandlungen. Keine Gnade.
Ich bin nicht gewillt, mich abschlachten zu lassen wie ein Tier. Sie griff nach der Waffe des Deputys. Hob den Lauf und feuerte hoch in die Luft. Ein Warnschuss, der ihn aufhalten, der ihm zu denken geben sollte.
Von unten am Hang ertönten Hundegebell und laute Männerstimmen. Maura sah den bewaffneten Trupp unaufhaltsam näherkommen. Sie war ihrem Gewehrfeuer ungeschützt ausgesetzt. Hier, wo sie neben Rat im Schnee kauerte, hatte sie keine Deckung, als das Exekutionskommando gegen sie vorrückte.
»Ich heiße Maura Isles!«, rief sie. »Ich will mich ergeben! Bitte, ich will mich ergeben! Mein Freund ist verletzt und braucht …« Ihre Stimme erstarb, als ein Schatten sich über sie legte. Sie blickte auf – direkt in die Mündung eines Gewehrs.
Der Mann, der das Gewehr hielt, sagte ruhig: »Geben Sie mir die Waffe.«
»Ich ergebe mich doch«, flehte Maura. »Ich heiße Maura Isles, und
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