Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totengrund

Totengrund

Titel: Totengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
impulsiven Mann in diesen Schlamassel hineinziehen lassen. Und das Schlimmste war, dass er einfach nicht einsehen wollte, wie ernst ihre Lage wirklich war und dass sie offenbar von Minute zu Minute ernster wurde. In Dougs Welt schien immer die Sonne, und alles ging stets gut aus.
    Das Tageslicht begann zu schwinden. Sie waren inzwischen mindestens eine Meile marschiert, und Mauras Beine waren schwer wie Blei. Wenn sie hier vor Erschöpfung zusammenbräche, würden die anderen es vielleicht nicht einmal mitbekommen. Und wenn es einmal dunkel wäre, würde niemand sie mehr finden. Bis zum Morgen wäre sie längst eingeschneit. Wie leicht man hier draußen verloren gehen konnte – man musste sich nur im Schneesturm verlaufen, in eine Wehe einsinken, und niemand würde jemals erfahren, was aus einem geworden war. Sie hatte niemandem im Boston von diesem Ausflug mit Übernachtung erzählt. Ein einziges Mal hatte sie spontan sein wollen, einfach nur an Bord springen und die Reise genießen. Und so hatte sie Dougs Drängen nachgegeben und die Chance ergriffen, Daniel zu vergessen und ihre Unabhängigkeit zu erklären. Sich selbst davon zu überzeugen, dass ihr Leben immer noch ihr gehörte.
    Die Umhängetasche glitt ihr von der Schulter, und ihr Handy fiel in den Schnee. Sie schnappte es auf, wischte die eisigen Flocken weg und prüfte den Empfang. Immer noch null Balken. Hier draußen ist das verdammte Ding nur nutzloser Ballast, dachte sie und schaltete es aus, um den Akku zu schonen. Sie fragte sich, ob Daniel wohl versucht hatte, sie zu erreichen. Würde er sich Sorgen machen, wenn sie auf seine Nachrichten hin nicht zurückrief? Oder würde er denken, dass sie ihn bewusst ignorierte? Würde er einfach darauf warten, dass sie das Schweigen brach?
    Wenn du zu lange wartest, bin ich vielleicht tot.
    Getrieben von plötzlicher Wut auf Daniel, auf Douglas und diesen ganzen von vorn bis hinten verkorksten Tag, nahm sie wild entschlossen die letzten Meter in Angriff und kämpfte sich durch den hüfthohen Schnee. Sie stakste aus der Verwehung heraus und stieß zu den anderen. Sie hatten endlich ebenes Gelände erreicht und blieben erst einmal stehen, um zu verschnaufen. Ihr Atem stieg in Wolken in die eisige Luft auf, und die Flocken, die wie weiße Motten herabwirbelten, landeten mit leisem Ticken auf der Schneedecke.
    Im schwindenden Licht standen die Häuser in zwei Reihen, allesamt dunkel und still. Alle hatten die gleichen schrägen Dächer, die gleichen Anbaugaragen, die gleichen Veranden und sogar die gleichen Verandaschaukeln. Bis hin zur Anzahl der Fenster waren die Häuser auf geradezu unheimliche Weise identisch, wie Klone.
    »Hallo?«, rief Doug. »Ist da irgendjemand?«
    Seine Worte wurden von den Hängen ringsum zurückgeworfen und verhallten.
    Arlo rief: »Wir kommen in friedlicher Absicht! Und wir haben Kreditkarten mitgebracht!«
    »Das ist nicht witzig«, zischte Elaine. »Wir könnten hier erfrieren.«
    »Niemand wird erfrieren«, sagte Doug. Er stapfte die Stufen zu der überdachten Veranda des ersten Hauses hinauf und hämmerte an die Tür. Er wartete ein paar Sekunden und klopfte noch einmal. Doch das einzige Geräusch war das Knarren der Verandaschaukel, deren Sitzfläche mit verwehtem Schnee bedeckt war.
    »Lass uns einfach die Tür aufbrechen«, sagte Elaine. »Das ist ein Notfall.«
    Doug drehte den Knauf, und die Tür schwang auf. Er blickte sich zu den anderen um. »Hoffen wir, dass da drin niemand mit einer Schrotflinte lauert.«
    Im Haus war es nicht wärmer als draußen. Sie standen fröstelnd im Halbdunkel und stießen Dampfwolken aus wie fünf Feuer speiende Drachen. Durch das Fenster fiel das letzte graue Licht des Tages.
    »Hat zufällig jemand eine Taschenlampe?«, fragte Doug.
    »Ich glaube, ich habe eine«, antwortete Maura und kramte in ihrer Handtasche nach der Mini-Maglite, die sie bei der Arbeit immer dabeihatte. »Verdammt«, murmelte sie. »Mir fällt gerade ein, dass ich sie zu Hause gelassen habe. Ich dachte, bei der Tagung würde ich sie nicht brauchen.«
    »Ist hier irgendwo ein Lichtschalter?«
    »An dieser Wand sehe ich keinen«, sagte Elaine.
    »Ich kann hier nirgends eine Steckdose entdecken«, ließ Arlo sich vernehmen. »Weit und breit keine Elektrogeräte.« Er hielt einen Moment inne. »Wisst ihr was? Ich glaube, die haben hier tatsächlich keinen Strom.«
    Eine Weile standen sie alle schweigend da, so entmutigt, dass niemand ein Wort hervorbrachte. Sie hörten keine

Weitere Kostenlose Bücher