Totengrund
die Schwelle und zog die Tür hinter sich zu. Der Wind fegte über die Veranda, sie spürte seine eisigen Nadelstiche auf der Haut. Die Schaukel knarrte, als wollte sie protestieren. Maura sah nach unten, konnte aber keine Fußspuren entdecken – der Wind musste sie schon verweht haben. Das Thermometer, das an der Hauswand hing, zeigte minus elf Grad an, doch es fühlte sich wesentlich kälter an.
Die Treppe war tief verschneit, und als sie den Fuß an die Stelle setzte, wo sie die erste Stufe vermutete, rutschte sie aus und fiel hin. Der Aufprall jagte einen stechenden Schmerz durch ihr Rückgrat bis in den Schädel. Sie blieb einen Moment lang benommen sitzen und blinzelte im grellen Morgenlicht. Die Sonne schien von einem blauen Himmel herab, und der Schnee war blendend hell. Ein Windstoß wehte ihr einen Schwall Pulver ins Gesicht, und sie musste niesen, was ihre Kopfschmerzen noch verstärkte.
Sie stand auf und klopfte sich den Schnee von der Hose. Zwischen den zwei Häuserreihen breitete sich eine unberührte Schneedecke aus, die sie geradezu einzuladen schien, als Erste diese jungfräuliche weiße Fläche zu betreten. Doch sie ignorierte den Impuls und stapfte stattdessen um die Hausecke herum, um sich durch den knietiefen Schnee zum Holzschuppen zu kämpfen. Dort versuchte sie ein Scheit herauszuziehen, das ganz obenauf lag, doch es war festgefroren. Sie stemmte einen Fuß gegen den Stapel und zerrte mit aller Kraft. Mit lautem Krachen löste sich die angefrorene Borke, und sie taumelte rückwärts. Ihr Fuß blieb an etwas hängen, das unter dem Schnee vergraben lag, und sie fiel der Länge nach hin.
Schon der zweite Sturz an diesem Tag. Und der Morgen war gerade erst angebrochen.
Ihr Kopf schmerzte, und die grelle Sonne brannte in ihren Augen. Sie war hungrig, und zugleich war ihr ein wenig übel – die Folgen des übermäßigen Whiskykonsums vom Abend zuvor. Die Aussicht auf Schweinefleisch mit Bohnen zum Frühstück war da auch nicht sehr hilfreich. Sie rappelte sich hoch und sah sich nach dem Scheit um, das ihr aus der Hand gefallen war. Als sie mit dem Stiefel im Schnee herumstocherte, stieß sie an ein Hindernis. Sie grub mit den Händen und ertastete durch die Handschuhe einen harten Klumpen. Nicht das Holzscheit, sondern etwas Größeres, das am Boden festgefroren war. Das war es, worüber sie gestolpert war.
Sie wischte noch mehr Schnee beiseite und verharrte plötzlich reglos, den Blick starr auf das gerichtet, was sie da freigelegt hatte. Entsetzt prallte sie zurück. Dann drehte sie sich um und rannte ins Haus.
9
»Sie haben ihn offenbar ausgesperrt, und hier draußen ist er dann erfroren«, sagte Elaine.
Sie hatten einen feierlichen Kreis um den toten Hund gebildet, wie fünf Trauernde an einem Grab, gepeitscht von eisigen Windböen, die wie Glas in die Haut schnitten. Doug hatte das Loch mit einer Schaufel erweitert und den Kadaver vollständig freigelegt. Es war ein Deutscher Schäferhund; in seinem Fell glitzerten Schneekristalle.
»Wer würde bei diesem Wetter einen Hund draußen lassen?«, fragte Arlo. »Das ist doch grausam.«
Maura ging in die Hocke und legte eine Hand auf die Flanke des Hundes. Der Körper war steif gefroren, die Muskeln hart wie Stein. »Ich sehe keinerlei Verletzungen. Und es ist kein herrenloses Tier«, stellte sie fest. »Er sieht gut genährt aus, und er hat ein Halsband.« In den Metallanhänger war der Name eingraviert – Lucky . Nicht, dass er seinem Träger Glück gebracht hätte. »Er hat offensichtlich jemandem gehört.«
»Vielleicht ist er nur davongelaufen, und seine Leute haben ihn nicht mehr rechtzeitig gefunden«, meinte Doug.
Grace blickte verstört auf. »Und sie haben ihn einfach hier draußen allein gelassen?«
»Vielleicht mussten sie überstürzt aufbrechen.«
»Wie kann jemand so gemein sein? Wir würden niemals einem Hund so etwas antun.«
»Wir wissen ja nicht, was hier wirklich passiert ist, Schatz.«
»Du wirst ihn doch begraben, nicht wahr?«
»Grace, es ist nur ein Hund.«
»Du kannst ihn nicht hier draußen liegen lassen.«
Doug seufzte. »Okay, ich kümmere mich drum. Versprochen. Geh doch schon mal vor ins Haus und halte das Feuer in Gang. Ich mach das hier schon.«
Sie warteten, bis Grace im Haus verschwunden war. Dann sagte Elaine: »Du willst dir doch nicht wirklich die Mühe machen, diesen Hund zu begraben? Der Boden ist hart gefroren.«
»Du hast doch gesehen, wie fertig sie ist.«
»Sie ist nicht die
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