Totengrund
Internetzugang hätten, wären wir längst hier weg.« Seufzend schlug Maura die Tür zu.
»Sehen Sie diese Spuren?«, fragte Grace. »Sie führen direkt hier vorbei und dann weiter in den Wald.«
»Wir sind hier in der Wildnis. Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass man auf Tierspuren stößt.«
»Es weiß, dass wir hier sind.« Grace blickte sich nervös um. »Es hat bei uns herumgeschnüffelt.«
»Dann bleib en wir einfach über Nacht drin, okay?« Maura tätschelte ihr beschwichtigend den Arm. Er fühlte sich so dünn an durch den Jackenärmel, so zerbrechlich, und Maura wurde daran erinnert, dass das Mädchen schließlich erst dreizehn war. Ein Kind, dessen Eltern beide nicht da waren, um es zu trösten. »Ich verspreche dir, ich werde jeden Wolf vertreiben, der zu uns an die Tür kommt«, sagte Maura.
»Es kann kein einzelner Wolf sein«, wandte Grace ein. »Wölfe jagen in Rudeln. Wenn die alle zusammen angreifen, können Sie sie nicht vertreiben.«
»Grace, mach dir keine Sorgen. Wölfe greifen nur ganz selten Menschen an. Sie haben wahrscheinlich mehr Angst vor uns als wir vor ihnen.«
Das Mädchen wirkte alles andere als überzeugt. Zum Beweis, dass sie sich nicht fürchtete, folgte Maura den Spuren auf den Waldrand zu, durch den immer tiefer werdenden Schnee, bis sie plötzlich bis über die Knie einbrach. Das war der Grund, weshalb Hirsche im Winter so leicht zur Beute von Räubern wurden: Schwere Tiere sanken im Schnee tief ein und konnten dann den leichteren und flinkeren Wölfen nicht mehr entkommen.
»Ich war ’ s übrigens wirklich nicht!«, rief Grace ihr nach. »Ich hab ihre blöde Handtasche nicht genommen. Was soll ich denn mit dem Ding?«
Plötzlich fiel Mauras Blick auf eine zweite Spur im Schnee. Sie hielt am Waldrand inne und starrte die Abdrücke an. Es war kein Wolf gewesen, der sie hinterlassen hatte. Als ihr klar wurde, was sie da sah, lief ihr ein eisiger Schauer über den Rücken, und die Härchen in ihrem Nacken richteten sich auf.
Schneeschuhe.
»Was soll ich denn mit ihrer Handtasche anfangen?«, schimpfte Grace, die immer noch neben dem Bulldozer stand. »Sie glauben mir doch, oder? Wenigstens Sie behan deln mich wie eine Erwachsene.«
Maura spähte in den Wald, versuchte zu erkennen, was dort im Schutz der Kiefern lauerte. Aber die Bäume standen zu dicht, und sie sah nur tief hängende Äste und verschlungenes Unterholz; ein so dichter Vorhang, dass zahllose Augenpaare sie in diesem Moment hätten beobachten können, ohne dass sie es merkte.
»Elaine tut so nett und besorgt um mich, aber immer nur, wenn Dad dabei ist«, sagte Grace. »Ich find die Frau zum Kotzen.«
Langsam wich Maura vom Waldrand zurück. Jeder Schritt kam ihr erschreckend laut und schwerfällig vor. Ihre Stiefel brachen durch den vereisten Schnee, und trockene Zweige knackten unter ihren Sohlen. Und hinter ihr schimpfte Grace weiter vor sich hin.
»Sie ist bloß seinetwegen so nett zu mir. Das sind die Frauen am Anfang immer – und nachher können sie mich nicht schnell genug loswerden.«
»Gehen wir ins Haus zurück«, sagte Maura leise.
»Das ist alles nur Show, und Dad ist so blind, dass er es einfach nicht merkt.« Grace hielt plötzlich inne, als sie Mauras Gesicht sah. »Was ist los?«
»Nichts.« Maura nahm den Arm des Mädchens. »Es wird allmählich kalt. Gehen wir rein.«
»Sind Sie sauer auf mich oder was?«
»Nein, Grace, das bin ich nicht.«
»Warum drücken Sie mich dann so fest?«
Sofort ließ Maura den Arm des Mädchens los. »Ich denke, wir sollten im Haus sein, ehe es dunkel wird. Ehe die Wölfe zurückkommen.«
»Aber Sie haben doch gerade gesagt, dass Wölfe keine Menschen anfallen.«
»Ich habe deinem Vater versprochen, dass ich auf dich aufpassen werde, und ich versuche, mein Versprechen zu halten.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Komm, ich mach uns eine Tasse heiße Schokolade.«
Maura wollte Grace nicht noch mehr Angst einjagen, als sie ohnehin schon hatte. Also sagte sie ihr nicht, was sie gerade im Wald gesehen hatte. Elaine würde sie es allerdings erzählen müssen. Sie mussten Vorkehrungen treffen, jetzt, da Maura die Wahrheit kannte.
Sie waren nicht allein in diesem Tal.
18
»Wenn da draußen jemand ist, wieso haben wir ihn dann noch nicht gesehen?«, fragte Elaine.
Es war schon spät in der Nacht, aber sie waren noch wach, horchten gebannt auf jedes Knarren, jedes Rascheln. Grace schlief tief und fest; sie bekam nichts mit von ihrem angespannten
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