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Totengrund

Totengrund

Titel: Totengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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ihn schon berührte, musste sie gegen die Angst ankämpfen, die ihr zurief: Geh nicht raus! Leg den Riegel vor! Aber solche Ängste waren irrational. Niemand hatte versucht, ihnen etwas anzutun; sie selbst hatten durch eine Reihe von Fehlentscheidungen dieses Unglück über sich gebracht.
    Sie öffnete die Tür und trat hinaus.
    Die Nacht war vollkommen still, kein Wind rauschte in den Bäumen. Das lauteste Geräusch war das Pochen ihres eigenen Herzens. Plötzlich ging die Tür wieder auf, und Elaine kam heraus. Sie hatte sich eine Jacke übergezogen.
    »Ich komme mit.«
    »Das musst du nicht.«
    »Falls du noch mehr Fußabdrücke findest, will ich sie mit eigenen Augen sehen.«
    Zusammen gingen sie ums Haus herum zum Wohnzimmerfenster. Hier war noch keiner von ihnen gewesen, und im Schein der Petroleumlampe konnte Maura keine Fußspuren sehen, nur eine unversehrte Schneedecke. Doch als sie das Fenster erreichten, hielt sie inne und starrte den unwiderlegbaren Beweis an, der im Lampenschein vor ihren Füßen aufgetaucht war.
    Jetzt sah Elaine ihn auch, und sie hielt erschrocken die Luft an. »Die sehen aus wie Wolfsspuren.«
    Wie als Antwort auf ihre Bemerkung durchbrach ein fernes Heulen die Stille der Nacht, gefolgt von einem vielstimmigen Kläffen und Jaulen. Maura schauderte. »Die Spuren sind direkt unter dem Fenster«, sagte sie.
    Elaine lachte plötzlich auf. »Tja, das dürfte die Erklärung für das Gesicht sein, das Arlo gesehen hat, oder?«
    »Wieso?«
    »Ist das nicht offensichtlich?« Elaine wandte sich zum Wald um, und ihr Lachen war so wild und ungezügelt wie das Heulen, das aus der Ferne an ihre Ohren drang. »Werwölfe!«
    Abrupt brach das Geheul ab. Die folgende Stille war so vollkommen, so geheimnisvoll, dass Maura ein Kribbeln auf der Haut verspürte. »Zurück ins Haus«, flüsterte sie. » Sofort. «
    Sie liefen durch den verharschten Schnee, zurück zur Veranda und von dort ins Haus. Maura schob den Riegel vor und zog den Stuhl wieder unter den Knauf. Einen Moment lang standen sie nur keuchend da, ohne ein Wort zu sagen. Im Kamin fiel ein Scheit in das Bett aus glühender Asche, und Funken stoben auf.
    Elaine und Maura erstarrten und wechselten einen Blick, als sie beide das Geräusch vernahmen, das durch das Tal hallte. Es waren die Wölfe, die wieder ihr Geheul anstimmten.

19
    Noch ehe am nächsten Tag die Sonne aufging, wusste Maura, dass Arlo im Sterben lag. Sie hörte es an seiner Atmung, dem feuchten Gurgeln in seiner Kehle, als ob er die Luft mühsam durch einen wassergefüllten Schnorchel einsöge. Seine Lunge ertrank in Flüssigkeit.
    Das Geräusch weckte sie, und sie blickte sich zu ihm um. Im Schein des Kaminfeuers sah sie, wie Elaine sich über ihn beugte und ihm mit einem Waschlappen behutsam das Gesicht abwischte.
    »Heute ist es so weit, Arlo«, murmelte Elaine. »Heute kommen sie und holen uns hier raus, das weiß ich. Sobald es hell wird.«
    Arlo rang gequält nach Luft. »Doug …«
    »Ja, ich bin sicher, dass er es inzwischen geschafft hat. Du kennst ihn doch. Niemals aufgeben, niemals das Handtuch werfen. Das ist unser Doug. Du musst einfach nur durchhalten, okay? Noch ein paar Stunden. Schau, es wird schon hell.«
    »Doug. Du.« Wiederum holte Arlo stockend Luft. »Ich hatte nie eine Chance. Nicht wahr?«
    »Was meinst du?«
    »Hab ’ s immer gewusst.« Arlo stieß ein ersticktes Schluchzen aus. »Hab immer gewusst, dass du dich für ihn entscheiden würdest.«
    »Oh, Arlo. Nein, es ist nicht so, wie du denkst.«
    »Zeit, ehrlich zu sein. Bitte.«
    »Es war nie irgendetwas zwischen Doug und mir. Ich schwöre es, Schatz.«
    »Aber du hättest es gewollt.«
    Das Schweigen, das darauf folgte, war eine ehrlichere Antwort als alles, was Elaine hätte sagen können. Maura verhielt sich ganz still, die unfreiwillige Zeugin dieses schmerz lichen Geständnisses. Arlo musste wissen, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. Dies war wahrscheinlich seine letzte Chance, die Wahrheit zu hören.
    »Ist nicht wichtig.« Er seufzte. »Nicht mehr.«
    »Aber es ist wichtig«, erwiderte Elaine.
    »Lieb dich immer noch.« Arlo schloss die Augen. »Wollte nur … dass du es weißt.«
    Elaine hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Das erste Licht der Morgendämmerung erhellte das Fenster und hüllte sie in seinen Schein, als sie neben ihm kniete, überwältigt von Kummer und Schuldgefühlen. Sie holte zitternd Luft und richtete sich auf. Jetzt erst bemerkte sie, dass

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