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Totengrund

Totengrund

Titel: Totengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Maura wach war und sie beobachtete, und sie wandte sich verlegen ab.
    Eine Weile sagte keine der beiden Frauen etwas. Das einzige Geräusch waren Arlos röchelnde Atemzüge, ein und aus, ein und aus, das Gurgeln aus seinen verschleimten Bronchien. Selbst von der anderen Zimmerecke aus konnte Maura sehen, dass sein Gesicht sich verändert hatte; seine Augen waren noch stärker eingesunken, die Haut hatte einen ungesunden grünlichen Stich. Am liebsten hätte sie sein Bein gar nicht angeschaut, doch es war inzwischen hell genug, um es zu untersuchen, und sie wusste, dass sie es tun sollte. Es war ihre Verantwortung; eine Verantwortung, die sie gerne von sich geschoben hätte, doch sie war nun einmal die Ärztin hier. Ohne moderne Medikamente und saubere chirurgische Instrumente hatte sich ihre medizinische Ausbildung allerdings als wenig hilfreich erwiesen – vor allem aber ohne die eiskalte Entschlossenheit, das Notwendige zu tun: nämlich einem vor Schmerzen schreienden Mann das Bein abzusägen. Denn das war es, was hier getan werden musste. Sie wusste es, noch bevor sie das Bein freigelegt hatte, bevor sie den Gestank der schwärenden Wunden roch.
    »O Gott«, stöhnte Elaine und wankte davon. Kurz darauf hörte Maura die Haustür zufallen – Elaine war an die frische Luft geflüchtet, um den üblen Gerüchen im Zimmer zu entgehen.
    Es muss heute passieren, dachte Maura, während sie auf das faulende Fleisch des Beins starrte. Aber sie würde es nicht allein schaffen; sie brauchte Elaine und Grace, um den Patienten festzuhalten; anders würde es ihr nie gelingen, die Blutung unter Kontrolle zu bringen. Sie sah sich nach dem Mädchen um, das auf dem Sofa immer noch fest schlief. Könnte sie sich auf Grace verlassen? Hatte Elaine die innere Stärke, entschlossen zuzupacken, ohne sich von den Schreien und dem unbarmherzigen Raspeln der Säge aus der Ruhe bringen zu lassen? Wenn die beiden einknickten, würde Maura ihren Patienten am Ende vielleicht umbringen.
    Sie zog Jacke und Handschuhe an und trat vor die Tür. Elaine stand auf der Veranda und sog in tiefen Zügen die kalte Luft ein, wie um den Gestank von Arlos verfaulendem Körper aus ihrer Lunge zu spülen.
    »Was denkst du, wie viel Zeit ihm noch bleibt?«, fragte Elaine leise.
    »Ich will nicht über Countdowns sprechen, Elaine.«
    »Aber er wird sterben, nicht wahr?«
    »Wenn wir nichts tun, ja.«
    »Du und Doug, ihr habt doch schon etwas getan. Und es hat nicht geholfen.«
    »Also müssen wir den nächsten Schritt tun.«
    »Welchen?«
    »Amputieren.«
    Elaine fuhr herum und starrte sie an. »Das kann nicht dein Ernst sein.«
    »Es bleibt uns keine andere Wahl. Wir haben sämtliche Antibiotika aufgebraucht. Wenn das Bein dranbleibt, könnte er am septischen Schock sterben.«
    »Du warst doch diejenige, die zuerst nicht operieren wollte! Doug musste dich dazu überreden.«
    »Die Lage ist jetzt sehr viel ernster. Jetzt ist es nicht mehr sein Bein, das wir retten wollen. Sondern sein Leben. Ich brauche dich – du musst ihn festhalten.«
    »Das schaffe ich nicht allein!«
    »Grace wird mithelfen müssen.«
    » Grace? « Elaine schnaubte verächtlich. »Du glaubst doch nicht, dass dieses verwöhnte Gör zu irgendetwas zu gebrauchen ist?«
    »Wenn wir es ihr erklären. Wenn wir ihr sagen, wie wichtig das hier ist.«
    »Ich kenne sie besser als du, Maura. Sie hat Doug total in der Hand, und für seine kleine Prinzessin würde er alles tun. Es dreht sich alles nur darum, sie glücklich zu machen, als Wiedergutmachung dafür, dass ihre Mutter ihn verlassen hat.«
    »Du traust ihr zu wenig zu. Sie ist vielleicht noch ein Kind, aber sie ist nicht dumm. Sie wird begreifen, was hier auf dem Spiel steht.«
    »Das ist ihr egal. Hast du sie so wenig durchschaut? Sie denkt nur an sich, alle anderen sind ihr scheißegal. « Elaine schüttelte den Kopf. »Auf Grace kannst du nicht zählen.«
    Maura atmete tief aus. »Wenn du die Einzige bist, die mir hilft, dann brauchen wir ein Seil. Irgendetwas, womit wir ihn am Tisch festbinden können.«
    »Hast du wirklich vor, das durchzuziehen?«
    »Was soll ich denn deiner Meinung nach tun? Dabeistehen und zusehen, wie er stirbt?«
    »Vielleicht kommen sie heute und holen uns hier raus. Sie könnten schon in ein paar Stunden hier sein.«
    »Elaine, wir müssen realistisch sein.«
    »Ein Tag mehr oder weniger macht doch keinen Unterschied, oder? Wenn sie morgen kommen, wird es auch noch früh genug sein.«
    »Doug ist schon zwei Tage

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