Totengrund
zu entkommen, die alle gescheitert waren. Da waren die tiefen Furchen, die der Jeep bei seinem Anstieg in die Schneedecke gegraben hatte. Und dort die Fußspuren, die sie und die anderen hinterlassen hatten, als sie den manövrierunfähigen Wagen zurückgelassen und Arlo auf dem Schlitten ins Tal gezogen hatten. Nach weiteren hundert Metern mit engen Haarnadelkurven sah sie die Spuren von Arlos Blut im Schnee, das sie an ihren Stiefelsohlen über die Straße verteilt hatten. Noch eine Biegung, und da war der von der Straße abgekommene Jeep mit der kaputten Schneekette. Und noch mehr Blut.
Sie blieb stehen, um Atem zu schöpfen, und starrte auf den aufgewühlten Schnee, verfärbt in einem Spektrum von Rot- und Rosatönen, wie ein Fruchtsorbet, das man an einem heißen Sommertag schlürfte. Der Anblick ließ die ganze schreckliche Szene wieder lebendig werden, die Schreie und die Panik, und Mauras Herz pochte ebenso heftig von der Erinnerung wie von ihrem mühsamen Anstieg.
Sie ließ den Jeep hinter sich und marschierte weiter. Nun war die Schneedecke nur noch von Dougs Fußstapfen durchbrochen. Im Lauf von gut zwei Tagen waren sie teilweise in der Sonne geschmolzen und hatten sich dann mit einer Eiskruste überzogen. Maura stieg weiter, beunruhigt von dem Gedanken, dass sie Dougs Fußstapfen folgte, dass er jeden Schritt, den sie tat, zwei Morgen zuvor ebenfalls getan hatte. Wie weit würde sie seiner Spur auf der Straße ins Tal folgen können? Würde sie an einen Punkt kommen, wo sie plötzlich abbrach, und herausfinden, was aus ihm geworden war?
Steht mir das gleiche Schicksal bevor?
Die Straße wurde steiler, und Maura schwitzte in ihren schweren Kleidern. Sie öffnete den Reißverschluss ihrer Jacke, zog die Handschuhe aus und nahm die Mütze ab. Dieser Anstieg würde der anstrengendste Teil des Marschs sein. Wenn sie einmal die Hauptstraße erreicht hätte, würde sie den Rest der Strecke weitgehend auf den Skiern bergab gleiten können. So weit jedenfalls die Theorie. Und doch war Doug offenbar nicht am Ziel angekommen. Nun begann sie, sich zu fragen, ob es nicht leichtsinnig von ihr war, sich an eine Aufgabe zu wagen, an der ein so fitter und durchtrainierter Mann wie Doug gescheitert war.
Sie könnte es sich immer noch anders überlegen. Sie könnte umkehren und zum Haus zurückgehen, wo sie genug Vorräte hatten, um die Zeit bis zum Frühjahr zu überstehen. Inzwischen hatte sie einen Aussichtspunkt erreicht, von dem aus sie die Siedlung weit unten im Tal sehen konnte, und den Rauch, der aus dem Schornstein ihres Hauses stieg. Sie hatte noch nicht einmal die Hauptstraße erreicht, aber schon jetzt war sie erschöpft; ihre Beine schmerzten und zitterten. War Doug auch so todmüde gewesen, als er diesen Punkt des Anstiegs erreicht hatte? Hatte er an ebendieser Stelle innegehalten, ins Tal hinuntergeschaut und überlegt, ob es wirklich klug wäre, weiterzugehen?
Sie wusste, wie er sich entschieden hatte: An seinen Fußstapfen, die weiter den Berg hinaufführten, konnte sie es ablesen.
Und auch sie setzte ihren Marsch fort. Ich tue das für Arlo, dachte sie. Stumm wiederholte sie seinen Namen, im Takt mit ihren Schritten: Rette Arlo, rette Arlo.
Bald schon verdeckten ihr Kiefern die Sicht, und das Tal verschwand hinter ihr. Der Rucksack schien mit jedem Schritt schwerer zu werden, und sie überlegte, einen Teil des Inhalts einfach wegzuwerfen. Brauchte sie wirklich diese drei Dosen Sardinen? Würde ihr das halbe Glas Erdnussbutter nicht auch genug Energie für den Rest des Wegs liefern? Sie erwog das Für und Wider, während sie schwer schnaufend die Straße hinaufstapfte und die Dosen in ihrem Rucksack scheppern hörte. Es war ein schlechtes Zeichen, dass sie jetzt schon über solche Maßnahmen nachdachte, nachdem sie erst zwei Stunden unterwegs war.
Die Straße wurde allmählich ebener, und dann tauchte vor ihr das Schild auf, das den Aussichtspunkt markierte, von dem aus sie vor fünf Tagen den ersten Blick auf Kingdom Come geworfen hatten. Das Tal lag jetzt so tief unter ihr, dass die Siedlung wie eine Spielzeuglandschaft wirkte, geschmückt mit künstlichen Wäldern und bestreut mit Kunstschnee. Aber der Rauch aus dem Schornstein war echt, ebenso wie die Menschen in diesem Haus; und einer von ihnen lag im Sterben.
Maura wandte sich ab, um weiterzugehen, doch nach zwei Schritten blieb sie abrupt stehen. Sie starrte auf den Schnee, auf Dougs Fußstapfen, die ihr den Weg wiesen.
Eine zweite Spur
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