Totenhauch
seine Hose waren so zerknittert, als hätte er darin geschlafen. Und dieser umwerfende weiße Haarschopf – derBereich seiner Körperpflege, dem er besonders große Aufmerksamkeit zu schenken schien – sah stumpf und leblos aus.
Einen Moment lang stand ich regungslos da, denn ich war mir nicht sicher, ob er überhaupt wusste, dass ich im Raum war. Dann räusperte ich mich, trat von einem Fuß auf den anderen, aber nichts lenkte ihn von seiner Beschäftigung ab – er blätterte schon im nächsten Buch. Es war offensichtlich, dass er irgendetwas suchte, und es war auch offensichtlich, dass er das, was er suchte, frustrierenderweise nicht finden konnte.
»Sie können aufhören herumzuzappeln«, meinte er plötzlich, ohne aufzublicken. »Ich weiß, dass Sie da sind.«
»Komme ich ungelegen? Ich hatte doch vorher angerufen.«
»Nein, schon gut. Ich fürchte, ich habe einfach einen schlechten Tag.«
»Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein? Ich bin ganz gut im Recherchieren.«
Er blickte auf, lächelte schwach und warf ein weiteres Buch zur Seite. »Es wäre schwierig, Ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen, wo ich doch nicht einmal selbst weiß, was ich eigentlich suche.«
»Das Gefühl kenne ich.«
Im nächsten Moment ging er auf mich zu, und als das Licht auf ihn fiel, das durch das Fenster hereindrang, wurde mir bewusst, wie oberflächlich mein erster Eindruck von ihm gewesen war. Die zerknitterte Kleidung und das ungekämmte Haar war noch das Wenigste. Er sah nicht gesund aus. Seine Haut hatte eine ungute gelbliche Farbe, seine Augen tränten und waren blutunterlaufen. Ich fragte mich, ob er überhaupt geschlafen hatte, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte.
Auch von seiner üblichen Eleganz war nichts mehr da, als er sich schwerfällig hinter seinen Schreibtisch setzte. Als er mich zu einem Stuhl winkte, bemerkte ich ein leichtes Zittern in seiner Hand, das mir noch nie aufgefallen war.
»Was führt Sie so früh am Morgen her? Darf ich hoffen, dass Sie einen besseren Blick auf Ihren Schattenmann werfen konnten?« Sein Lächeln hatte einen fast schmerzlichen Ausdruck, so als würde es ihn ungeheure Anstrengung kosten, etwas von seiner üblichen Herzlichkeit abzurufen.
»Eigentlich nicht, ich bin aus einem anderen Grund hier. Wegen eines anderen … Ereignisses.«
Jetzt fiel das Licht grell auf ihn, und man sah, dass die Haut so über den Knochen spannte, als würde ich mich mit einem Toten unterhalten. Dann drehte er sich leicht auf seinem Stuhl und die Sinnestäuschung verschwand dankenswerterweise.
Ich räusperte mich und überlegte, ob es vielleicht ein Fehler war herzukommen. Er war sichtlich verstört und zerstreut, doch ich konnte nicht einfach aufstehen und ohne eine Erklärung gehen. Die glasigen Augen waren immer noch auf mich gerichtet und warteten darauf, dass ich weitersprach.
Ich räusperte mich noch einmal. »Ich frage mich, ob es möglich ist, dass ein Mensch einem anderen Menschen unbewusst die Energie aussaugen kann. Ich meine nicht emotionale Energie. Ich meine körperliche Energie.«
»Ich weiß nicht, ob man das trennen kann«, erwiderte er. »Immerhin kann die emotionale Befindlichheit schwere Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit haben, nicht wahr? Und umgekehrt.«
»Ja, natürlich.«
»Aber ich glaube, ich weiß, was Sie meinen, und die Antwort ist … vielleicht. Wissen Sie, was man unter einem psychischen Vampir versteht?«
»Ich habe davon gehört.«
»Es gibt zwei verschiedene Lehrmeinungen über das Phänomen des Psychovampirs. Die eine besagt, in so einem Menschen lebt eine paranormale Wesenheit, die sich von der psychischen Energie anderer nährt. Und die zweite – soziales Schmarotzertum. Menschen, die an gewissen Persönlichkeitsstörungen leiden, oder Personen, die sich durch gewisse Umstände in einem emotional oder spirituell geschwächten Zustand befinden, können andere so beeinträchtigen, dass die sich körperlich erschöpft und emotional ausgelaugt fühlen oder schwer depressiv werden.«
Ich erinnerte mich an das, was Ethan über Devlins Gemütsverfassung nach dem Unfall erzählt hatte, und an die Gerüchte, dass er in eine Art Sanatorium gegangen war. Falls er sich von seiner Trauer und von seinen Geistern emotional und körperlich ausgesaugt fühlte, könnte er da unbewusst nach einem Weg suchen, wieder aufzutanken?
»Wie macht man dem ein Ende?«, fragte ich.
»Der einfachste und wirkungsvollste Weg ist, eine solche Person
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