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Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
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schwer fassbare Botschaft herauszulesen.
    »Warum nicht?« Ich wusste, warum er nicht hier sein sollte, doch ich wollte unbedingt seine Version hören. »Ich bin nicht so altmodisch, dass ich nicht allein mit einem Mann in meinem Haus sein kann.«
    »Das meine ich nicht. Ich meine   … ich sollte nicht hier sein. Bei Ihnen.« Er betonte das Pronomen, wenn auch nur ganz leicht. »Sie machen mir Angst.«
    »Wirklich?«
    Er wurde ganz still. »Manchmal lassen Sie mich vergessen.«
    Mein Herz klopfte zum Zerspringen. »Ist das schlimm?«
    »Ich weiß es nicht. Ich habe so lange festgehalten   … ich bin mir nicht sicher, ob ich schon bereit bin loszulassen.«
    »Dann sollten Sie es auch nicht tun.«
    Im gleichen Moment sagte er meinen Namen. Nur das. Amelia . Doch in der typisch langsamen, schleppenden und gedehnten Sprechweise der Charlestoner Aristokraten, in der ein Hauch von Dekadenz lag und ein schwelgerischer Tonfall und alle Geheimnisse, die nur ganz tief im Süden gären können.
    Er umfasste mein Gesicht mit beiden Händen, drehte mich zu sich und sah mir endlos lange in die Augen. Ich dachte, er wollte mich küssen, und ich schloss die Augen voller Erwartung. Stattdessen fuhr er mit seinem Daumen ganz langsam über meine Unterlippe, genau so, wie ich es mir im Restaurant vorgestellt hatte. Es war kein Kuss, nicht einmal wirklich eine Liebkosung, doch es war das Sinnlichste, was ich in meinem ganzen Leben erlebt hatte. Es war, als hätte er an jenem Abend meine Gedanken gelesen, meine innersten Gefühle und Sehnsüchte erkannt.
    Er zog mich zu sich hinunter, schlang die Arme um mich, und wir lagen schweigend da, bis er wieder wegdriftete. Ich spürte das regelmäßige Schlagen seines Herzens unter meiner Hand. Es wurde stärker, während er schlief, und ich wurde schwächer.
    Dennoch bewegte ich mich nicht.
    Ich blieb in Devlins Armen liegen, bis der Jasmingeruch in meinem Arbeitszimmer unerträglich wurde.
    Dann stand ich auf und ging zum Fenster, um zu schauen, wo sie war. Shani saß auf der Schaukel und schwang langsam vor und zurück, und ihr langes Haar hob und senkte sich in der Brise.
    Dieses Mal war sie nicht allein gekommen. Mariama stand hinter ihr ganz tief in einer dunklen Ecke, und ihr spöttischer Blick ruhte nicht auf ihrer Tochter, sondern auf mir.
    Kurz vor Morgengrauen hörte ich, wie Devlin ging. Ich war vollständig angezogen ins Bett gegangen, und jetzt schlüpfte ich unter der Bettdecke hervor und rannte zum vorderen Fenster, um ihm nachzusehen. Als er das Gartentor öffnete und auf den Bürgersteig trat, erschienen Mariama und Shani in dem grauen Licht. Sie schwebten neben ihm, während er über die Straße zu seinem Wagen ging.
    Mitten auf der Straße blieb Mariamas Geist stehen und sah sich um. Ich trat vom Fenster weg, doch sie wusste, dass ich da war. Und genau wie Shanis Geist wollte sie, dass ich wusste, dass sie es wusste.
    Ich schaute nicht noch einmal aus dem Fenster, doch ich wusste es, als Devlin wegfuhr. Je mehr Abstand er zwischen uns brachte, desto stärker fühlte ich mich. Und jetzt wurde mir klar, dass dieses Haus, dieses heilige Refugium, mich vor Geistern schützen konnte, aber es schützte mich nicht vor Devlin.

DREISSIG
    Ich verließ das Haus etwas später am Morgen   – frisch geduscht, angezogen und voll neuem Tatendrang. Meine erste Station an diesem Tag war das Charleston Institute for Parapsychology Studies , und auf dem Weg zum Seiteneingang fragte ich mich, ob mir Madame Weiß-Alles auf der anderen Straßenseite nicht ebenso gut hätte helfen können. Nach meinem letzten Besuch bei Dr. Shaw hatte ich mehr Fragen gehabt als Antworten.
    Dieselbe Blondine, behangen mit demselben Silberschmuck, begrüßte mich an der Eingangstür und führte mich durch den Flur zu Dr. Shaws Büro und schloss dann diskret die Schiebetüren hinter mir.
    Die Sonne, die durch die Gartenfenster hereinflutete, blendete mich, sodass ich blinzeln musste, bis sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten. Dr. Shaw saß nicht an seinem Schreibtisch, sondern stand in einer dunklen Ecke am anderen Ende des Raums und blätterte in einem dicken ledergebundenen Wälzer. Kaum hatte ich ihn bemerkt, da warf er das Buch achtlos zur Seite, zog ein anderes aus dem Regal und blätterte fast hektisch darin.
    Seine äußere Erscheinung schockierte mich. Ich hatte immer gefunden, dass seine verschlissene Kleidung einen gewissen zerstreuten Charme hatte, aber jetzt wirkte er ungepflegt, sein Hemd und

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