Totenhauch
weiteren verdächtigen Beiträge gefunden, und ich hatte auch nirgendwo in der Nachbarschaft eine schwarze Limousine gesehen, die mich verfolgte. Und so fing ich nach einigen Tagen an, etwas durchzuatmen, denn im Grunde hatte ich gar keine andere Wahl. Die Polizei konnte mein Haus nicht vierundzwanzig Stunden am Tag überwachen, und ich konnte nicht auf unbestimmte Zeit in Winterschlaf gehen.
Das Leben ging weiter.
In den letzten Tagen hatte ich auf einem kleinen Friedhof gearbeitet, der etwa sechzig Kilometer nördlich von Charleston lag. Es handelte sich um einen schlichten ländlichen Friedhof mit einfachen Grabsteinen und eingezäunten Grabstellen. Die Bäume waren bereits zugeschnitten worden, damit das Gelände genug Sonnenlicht bekam, und ich fand die persönlichen Erinnerungsstücke und Familienandenken – Puppen, Spielzeug, gerahmte Fotos und billige Schmuckstücke –, mit denen man die Gräber geschmückt hatte, rührend und eigentlich sogar hübsch.
Die Puppen erinnerten mich an das Püppchen, das Devlin auf Shanis Grab gelegt hatte.
Es war später Nachmittag, und ich dachte gerade an diese Puppe – und an Devlin –, als mir plötzlich ein eisiger Schauer über den Rücken lief. Sofort wusste ich, dass mich jemand beobachtete.
Die Dämmerung war noch nicht hereingebrochen, aber trotzdem suchte ich aus den Augenwinkeln ängstlich den Boden ab. Als sich nirgendwo etwas regte und kein dunkler Schatten aus dem Wald heranglitt, hob ich den Kopf und suchte das Gelände ab.
Schließlich sah ich ihn unter einer Virginia-Eiche stehen, fast ganz im Dunkeln. Mit einem Gefühl der Beklemmung starrte ich ihn über die Grabsteine hinweg an.
Dann legte ich meine Bürste weg, zog meine Handschuhe aus und ging auf ihn zu.
Er sah genauso aus wie beim letzten Mal, als wir einander begegnet waren. Attraktiv und reserviert, mit einer Sonnenbrille, die seine Augen verdeckte.
Mir war unbehaglich zumute, aber eigentlich hatte ich keine Angst, obwohl wir ganz allein hier waren und das nächste Haus mindestens anderthalb Kilometer entfernt war. Devlin schien überzeugt zu sein, dass Tom Gerrity nicht der Mörder war, und ich vertraute seinem Urteil. Aber Tom Gerrity traute ich nicht. Dieser Mann hatte etwas an sich, dass sich mir der Magen zusammenkrampfte und sich mir die Nackenhaare sträubten. Er wollte etwas. Doch ich hatte das Gefühl, dass es noch eine ganze Weile dauern würde, bis ich hinter sein wahres Motiv kam.
Ich marschierte zu ihm hin und fragte ihn schroff: »Was machen Sie hier?«
»Ich wollte Sie treffen.«
Ich schaute mich um. »Ich sehe hier nirgends einen Wagen. Wie sind Sie hergekommen?«
»Ich bin von der Hauptstraße aus zu Fuß gegangen. Auf dem Schild am Tor steht, dass hier drin keine Fahrzeuge erlaubt sind. Und als ehemaliger Cop wollte ich mich natürlich an das Gesetz halten.«
Warum glaubte ich ihm nicht?
Ich beschattete mit der Hand meine Augen und blickte die Straße hinunter.
Gleich hinter dem Tor sah ich das Blitzen von Sonne auf Chrom. Ich schaute wieder Gerrity an. »Woher wussten Sie, wo Sie mich finden würden?«
»Sie haben auf Ihrem Blog Fotos veröffentlicht. Ich habe diesen Friedhof wiedererkannt. Ich kenne jemanden, der hier begraben liegt.«
Ich wollte ihn dazu gerade etwas fragen, als mir etwas anderes auffiel. Seit wann besuchte er schon meinen Blog? War er registriert? Hatte er einen Nicknamen?
Er ließ den Blick über den Friedhof schweifen. »Höchste Zeit, dass hier mal sauber gemacht wird.«
»Sie sagen, Sie kennen jemanden, der hier begraben liegt?«
»Einen Cop. Er starb bei einem Einsatz. Der Mord an ihm ist nie aufgeklärt worden.«
Ich erinnerte mich, dass Devlin mir erzählt hatte, ein anderer Cop sei wegen Gerrity ums Leben gekommen.«
»Wenn Sie mir seinen Namen sagen, gebe ich mir mit dem Grab ganz besonders viel Mühe.«
»Fremont«, sagte er. »Robert Fremont.«
Der Name jagte mir einen Schauer durch den Körper, als hätte ich gerade ein Déjà-vu-Erlebnis, und ich überlegte, ob ich von seinem Tod vielleicht in den Nachrichten gehört hatte.
Ich konnte körperlich spüren, wie Gerrity mich anstarrte,konnte spüren, dass sich zwischen uns etwas verändert hatte. Ich hätte es nicht erklären können, aber es war, als wäre eine Mauer eingestürzt, und ich war mir nicht ganz sicher, ob das eine gute Entwicklung war.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte ich leise.
»Ihre Hilfe.«
»Warum bitten Sie ausgerechnet mich darum?«
»Es
Weitere Kostenlose Bücher