Totenhauch
okay, wie ein Mensch unter den gegebenen Umständen sein kann.« Ich redete erst einmal nicht weiter, denn es widerstrebte mir, die schrecklichen Gedanken auszusprechen, die mir durch den Kopf schwirrten. »Das kann doch kein Zufall sein«, brach es dann aber doch aus mir heraus. »Und wenn da noch mehr Leichen sind, die man bis jetzt nur noch nicht gefunden hat? Und wenn das erst der Anfang ist von einer …« Ich rang um das richtige Wort. »Sie wissen schon, was ich meine.«
Devlins Miene blieb undurchdringlich, doch ich konnte unterschwellig eine Beklemmung spüren, die nicht gerade dazu beitrug, meine Furcht zu lindern. »Solange uns nicht sämtliche Fakten vorliegen, sollten wir solche Gedanken lieber nicht anstellen. Im Moment würde ich Ihnen gern ein paar Fragen über Oak Grove stellen. Ich muss über diesen Friedhof Bescheid wissen, und Sie sind der einzige Mensch, der mir da weiterhelfen kann.«
Ich nickte und war dankbar, dass ich etwas Nützliches tun konnte.
»Was machen Sie als Erstes, wenn Sie einen Job wie den hier annehmen?«
Die Frage überraschte mich ein wenig, aber ich antwortete, ohne zu zögern. »Ich gehe den ganzen Friedhof ab. Bevor ich dann anfange zu fotografieren.«
»Sie sind hier also überall schon mal gewesen. Auch hier hinten?«
»Abgegangen bin ich diese Ecke. Mit dem Fotografieren hatte ich letzten Freitag aber gerade erst angefangen, als die Wolken aufgezogen sind.«
»Ist Ihnen in einem der beiden Friedhofsbereiche irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
Ich warf einen kurzen Blick auf die Skelettreste. »Nichts Derartiges, das kann ich Ihnen versichern.«
»Ich meine eher so etwas wie die Grabsteine, über die wir gestern gesprochen haben, die in die verkehrte Richtung zeigen. Gibt es noch mehr davon auf diesem Friedhof?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
Er runzelte die Stirn. »Würden Sie sich nicht daran erinnern?«
»Nicht unbedingt. Wie ich Ihnen schon gesagt habe, ist ein nach außen zeigender Grabstein nicht so ungewöhnlich. Das erscheint jetzt nur so in dem Zusammenhang. Als ich den Friedhof abgegangen bin, habe ich mich mehr mit den eigentlichen Besonderheiten von Oak Grove beschäftigt.«
»Die da wären?«
»Sieben Deckelschlitz-Steingräber, bei denen die Deckel noch intakt sind. Die sind wirklich selten, besonders in South Carolina.«
»Was ist denn ein … was Sie da gerade gesagt haben?«
»Ein Deckelschlitz-Steingrab ist genau das, was das Wort besagt – ein horizontales, kastenförmiges Grab. In den Deckel sind Schlitze eingearbeitet, damit der Sarg über die senkrechten Kopf- und Fußgrabsteine passt. Bis jetzt habe ich das nur ein einziges Mal gesehen, und zwar im Nordosten von Georgia. Und dann ist da natürlich das Bedford Mausoleum.«
Ich drehte mich um und betrachtete die Türme und Spitzen, die durch den üppigen Bewuchs hindurch kaum zu sehen waren. »Das ist in einen Hang hineingebaut. So etwas findet man sonst nicht im Lowcountry.«
»Künstlich angelegt?«
»Der Hang? Es muss eigentlich so sein. Der ganze Bau ist mit Kudzu zugewachsen, deshalb kann ich Ihnen über die Architektur nicht viel sagen. Also, das sind wie gesagt ein paar Merkmale, die mir aufgefallen sind. Ich erinnere mich nicht an weitere nach außen zeigende Grabsteine, aber es könnte durchaus noch mehr geben. Um das mit Sicherheit sagen zu können, müssten wir den Friedhof noch einmal abgehen.«
»Das ist vielleicht gar keine schlechte Idee«, meinte er.
Genau in diesem Moment trat Regina Sparks zu uns. Ihr rundes Gesicht glänzte vor Hitze, und sie hob ihre Haare und fächelte sich mit der Hand Luft in den Nacken. »Hier ist es heißer als zwischen den Schenkeln einer Straßennutte. Die Luftfeuchtigkeit muss an die hundert Prozent sein.« Sie maß mich mit einem freundlichen Lächeln. »Ich glaube nicht, dass wir einander schon mal begegnet sind. Regina Sparks.«
»Amelia Gray.«
»Sie ist die Friedhofsexpertin, von der ich Ihnen gestern Abend erzählt habe«, sagte Devlin.
Sie sah ihn eine ganze Weile an, bevor sie sich zu mir wandte. Es kam mir so vor, als wäre sie auch nicht ganz immun gegen Devlins magische Anziehungskraft. »Die Frau, die man die Friedhofskönigin nennt?«
»Ja, aber woher wissen Sie das?« Ich war angenehm überrascht und auch peinlich berührt, dass sie meinen Spitznamen kannte.
»Meine Tante lebt in Georgia. In Samara. Sie hat mir das Video von dem Interview geschickt, das Sie gegeben haben, bei dem der ›Geist‹ im
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