Totenhauch
»Und?«
Devlin gab ihr einen kurzen Überblick über das Gespräch, das er und ich miteinander geführt hatten. Mit nachdenklich verfinstertem Blick hörte sie sich alles an. »Ich habe nie groß darüber nachgedacht, was sie auf Grabsteine tun, aber wärenicht alles, was mit Flügeln und Federn zu tun hat – das ganze Zeug mit der Seele und dem Fliegen –, ziemlich normal für einen christlichen Friedhof?«
»Es ist nicht unnormal«, pflichtete ich ihr bei. »Vor allem nicht auf einem Friedhof, der so alt ist wie Oak Grove. Verschiedene Epochen bringen auch eine neue Grabkunst hervor, aber bestimmte Symbole verschwinden nie. Sie verändern sich nur.«
Regina wandte sich wieder zu Devlin. »Glauben Sie im Ernst, dass da was dran ist?«
»Ich will da lieber noch abwarten. Es ist zu früh, um den Symbolen irgendeine größere Bedeutung beizumessen. Vielleicht ist es ja auch nur eine interessante Beobachtung.«
»Interessant ist richtig.« Sie sah mich an. »Haben Sie sonst noch was für uns?«
»Nur noch eine Sache. Wenn die Gebeine aus der ursprünglichen Grabstelle stammen, dann müssen Sie das Landesamt für Denkmalschutz einschalten. Gebeine, die mehr als hundert Jahre alt sind, fallen in deren Zuständigkeitsbereich. Die Dame heißt Temple Lee. Ich kann sie für Sie anrufen, wenn Sie möchten.«
Regina zuckte mit den Achseln. »Könnte nicht schaden. Für die Exhumierung werden wir Shaw brauchen, und ich muss mir einen Entomologen besorgen, der uns hilft, das PMI zu bestimmen.«
»Was ist PMI ?«
»Das Post-mortem-Intervall. Die Zeit, die seit dem Tod vergangen ist.«
»Ich dachte, Shaw ist immer noch auf Haiti«, meinte Devlin.
Regina zog ein Telefon aus ihrer Hosentasche. »Das haben wir gleich.« Sie entfernte sich ein paar Schritte von uns, um den Anruf zu tätigen, und ließ mich damit wieder mit Devlin allein.
»Ist hier von Ethan Shaw die Rede?«
Er wirkte überrascht. »Ja. Das ist der forensische Anthropologe, den wir bei solchen Fällen immer hinzuziehen. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie ihn kennen?«
»Ich bin ihm ein Mal begegnet, ganz flüchtig, durch seinen Vater.«
»Den Geisterjäger.«
»Rupert Shaw ist viel mehr als ein Geisterjäger. Er leitet eines der angesehensten Institute für parapsychologische Studien, die es in diesem Bundesstaat gibt.«
»Nicht gerade eine grandiose Empfehlung«, meinte Devlin. »Erzählen Sie mir bloß nicht, Sie glauben an den ganzen Hokuspokus.«
»Ich versuche, aufgeschlossen und unvoreingenommen zu bleiben. Kennen Sie Dr. Shaw?«
»Wir sind uns schon mal über den Weg gelaufen.«
Etwas in seiner Stimme machte mich stutzig. »Beruflich?«
»Sie sollten vielleicht nicht ausgerechnet mich zu Rupert Shaw fragen. Für meine Begriffe ist er im günstigsten Fall ein Exzentriker und im schlimmsten Fall ein Betrüger. Obwohl ich nicht behaupten kann, dass es mich überrascht, dass er es geschafft hat, sich hier in der Stadt einen Namen zu machen. Die Charlestoner hatten schon immer sehr viel übrig für das Exzentrische.«
»Aber Sie nicht.«
Ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Ich gebe nicht viel auf das, was ich nicht mit eigenen Augen sehen kann.«
Irgendetwas sagte mir, ich sollte die Sache auf sich beruhten lassen, aber so wie es aussah, war ich dieser Tage nicht besonders scharf darauf, auf Warnungen zu hören, weder auf meine innere Stimme noch auf die von jemand anderes. »Wie ist es mit Gefühlen? Furcht, Einsamkeit, Trauer. Oder sogar Liebe. Nur weil man sie nicht sehen kann, heißt das doch nicht, dass sie nicht real sind.«
Er erstarrte, und einen Moment lang sah ich eine Düsterkeitin seinem Blick, sodass mich ein Zittern überlief. Dann schüttelte er die dunkle Wolke ab, die über ihn hinweggezogen war.
»Nur ein gut gemeinter Rat im Hinblick auf Rupert Shaw. Ich weiß nicht, was Sie mit diesem Mann zu schaffen haben, aber ich wäre an Ihrer Stelle sehr vorsichtig bei künftigen Anlässen.«
»Ich danke Ihnen, dass Sie sich um meine Zukunft sorgen, aber wenn Sie mir nichts Konkreteres zu bieten haben als Ihre persönliche Verachtung für seinen Berufsstand, sehe ich keine Notwendigkeit, meine Meinung über Dr. Shaw oder meine Beziehung zu ihm zu ändern. Er war immer sehr nett zu mir.«
»Machen Sie, was Sie wollen«, murmelte er.
Ich dachte, damit sei das Thema erledigt, doch dann fasste er mich am Arm und zog mich in eine stille Ecke, wo uns niemand hören konnte. Wir standen so dicht voreinander, dass ich
Weitere Kostenlose Bücher