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Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
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genauso wie ich vorhin auf dem Friedhof.
    »Das da drüben ist Omas Haus.« Rhapsody zeigte auf ein winziges weißes Cottage am Ende der Straße. Es war mit Abstand das hübscheste Häuschen in der Umgebung und hatte einen gepflegten Garten, in dem frisch gewaschene Wäsche an der Leine flatterte.
    Sie führten mich ein paar Betonstufen hinauf, über eine Veranda mit Holzboden und mit blau gestrichener Decke   – die Himmelsfarbe war eine alte Tradition bei den Gullah, sie sollte Wespen und Geister abwehren – und hinein in einen schmalen Flur, in dem es nach Salbei und Zitronenverbenen duftete. Drei Dinge fielen mir sofort auf: ein Spiegel, der umgedreht an der Wand hing, ein Strohbesen, der gleich hinter der Eingangstür stand, und ein Muster aus engelsflügelförmigen Muscheln, das auf einer schmalen Bank ausgelegt war.
    Essie lief geschäftig in die Küche und überließ es Rhapsody, mir das gemütliche Wohnzimmer zu zeigen, wo der ganze Tisch vollgestellt war mit den traumhaftesten Seegraskörben, die ich je gesehen hatte. Als ich ein Kompliment dazu machte, meinte Rhapsody mit einem gleichgültigen Achselzucken: »Die alten Dinger? Die macht Oma ständig.« Sie hätte sich nicht weniger beeindruckt zeigen können.
    Sie wedelte mit der Hand zu einer Wand, an der verblassende Porträts hingen. »Die Leute da sind meine Vorfahren, aber frag mich nicht, wie sie heißen. Sie sind schon vor langer Zeit gestorben. Oma sagt, wir Goodwines hätten es so an uns, dass wir jung sterben. Abgesehen von ihr, schätze ich. Wahrscheinlich sind wir verflucht oder so.«
    Dann erzählte sie mir, ihre Großmutter sei in Wahrheit ihre Urgroßmutter. Ihr Vater und Mariama waren Cousin und Cousine ersten Grades, aber sie waren eher wie Bruder und Schwester gewesen, weil sie beide bei Essie aufgewachsen waren.
    »Was hast du gemeint, als du gesagt hast, deine Oma sei ein Kräuterweib?«
    »Dass sie eine Hexe ist«, erwiderte Rhapsody mit dem gleichen durchtriebenen Lächeln, das ich vorhin schon an ihr gesehen hatte. »Und weil ich das einzige noch lebende Mädchen in der Familie bin, werde ich ihre Helferin. Darum bin ich den Sommer über hier. Damit ich lerne, wie man Leute verhext.«
    »Sia! Halt den Rand, Kind!«
    Essie war so geräuschlos hereingekommen, dass Rhapsody und ich zusammenzuckten und herumfuhren. Sie trug ein Tablett, auf dem ein Krug mit Eistee, drei Gläser und ein Teller mit Sesamplätzchen standen. Bevor einer von uns ihr seine Hilfe anbieten konnte, drehte sie sich um und verschwand wieder in dem engen Flur. Wenig später hörte ich das Quietschen der Fliegengittertür.
    Rhapsody und ich folgten ihr nach draußen auf die Veranda. Dort machte sie es sich in einem uralten Schaukelstuhl aus Bambusrohr bequem, schenkte jedem von uns ein Glas Tee ein und klopfte Rhapsody kurz auf die Finger, als die gerade nach einem Plätzchen greifen wollte.
    Dann hielt Essie mir den Teller vor die Nase, und ich nahm eines, weil ich das Gefühl hatte, es wäre eine schreckliche Beleidigung, wenn ich keines nehmen würde. Außerdem mochte ich Sesamplätzchen, und es hieß, sie brächten Glück.
    Ich setzte mich auf die oberste Stufe der Treppe, und Rhapsody hockte sich gewagt auf das wacklige Geländer. Ich konnte aus dem Tee Honig und Zitrone herausschmecken und auch ein ganz kleines bisschen Orange. Genau wie der Eistee meiner Mutter war auch dieser hier süß und köstlich.
    Während Rhapsody und ich an den Keksen knabberten und an unserem Tee nippten, betrachtete Essie den Himmel. Endlich war die Sonne herausgekommen, und da sich zugleich der Wind legte, wurde die Hitze unerträglich. Ich hielt mir das kalte Glas an die Wange und fragte mich, wie ich das Thema auf Shani bringen könnte.
    Nach einer Weile fühlte ich mich leicht benommen in der sirupartig klebrigen Hitze. Ich beugte mich vor, um mein leeres Glas auf das Tablett zu stellen, das Essie neben ihrem Stuhl stehen hatte, und als ich mich wieder aufrichtete, begann die Veranda sich im Kreis zu drehen. Ich schnappte nach Luft und klammerte mich an den Treppenpfosten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Rhapsody sprang vom Geländer und kauerte sich vor mich auf den Boden, sah mir prüfend ins Gesicht. »Was ist los?«
    »Mir ist schwindlig   …«
    Sie legte mir eine Hand auf die Stirn. »Sie sieht schlecht aus, Oma. Vielleicht solltest du ihr eine Dosis Ewiges Leben verpassen.«
    Mit einem Mal verspürte ich das dringende Bedürfnis, von hier wegzukommen. Ich

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