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Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
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ihren Korbnamen benutzt, um uns zusammenzubringen, um uns zu binden   …
    Es war helllichter Tag, noch stundenlang hin, bis der Schleier wieder dünner wurde. Und trotzdem konnte ich die Präsenz des Kindes in diesem Augenblick so deutlich spüren, als wenn sie direkt neben mir stünde.
    Rhapsody, die nicht die geringste Ahnung hatte, welche Gefühle in mir tosten, schwatzte derweil munter weiter über die Korbnamen anderer Familienmitglieder. Ihre Großmutter kniff sie in den Arm.
    »Aua. Was soll das?«
    Sie bewegte warnend den Zeigefinger vor dem Gesicht des Mädchens. »Still, Kind. Ich hab da was zerquetscht, was mir ausgeschaut hat wie ’ne Stechmücke.«
    Rhapsody hielt auf der Stelle den Mund, aber ihre vorgeschobene Unterlippe sprach Bände.
    »Und zieh mir ja kein’ Flunsch, du!«
    »Ja, Ma’am.«
    Dann drehte sich die Frau zu mir und sagte in gebieterischem Ton: »Los! Komm.«
    »Wie bitte?«
    Rhapsody, die schon wieder aufgehört hatte, die beleidigte Leberwurst zu spielen, kam zu mir herüber und fasste mich an der Hand.
    »Oma will, dass du mitkommst.«
    »Mitkommen   … wohin?« Ich war mir nicht unbedingt sicher, ob mir diese Vorstellung behagte.
    »Zu ihrem Haus.« Sie machte mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung der Schotterstraße. »Es ist gleich da drüben.«
    Ihre Großmutter sagte etwas dazu, doch sie sprach sehr schnell, und ich verstand kein Wort.
    Rhapsody übersetzte pflichtschuldig. »Sie sagt, dass du besser mitkommst, wenn du etwas über Shani erfahren willst. Und ich würde auf sie hören, wenn ich du wäre«, fügte sie mit einem Seitenblick hinzu. »Oma sagt, ohne ihre Hilfe würde Shani dich nie in Ruhe lassen.«
    Und damit war die Einladung plötzlich unwiderstehlich geworden.
    Gemeinsam gingen wir die Schotterstraße hinunter. Oder besser gesagt, Rhapsody tanzte zwischen uns die Straße entlang, mit Bewegungen, die so leicht und luftig wirkten, dass es fast aussah, als würde sie schweben.
    Dabei schwatzte sie die ganze Zeit über ihren Vater, der gerade für längere Zeit in Afrika war, und über ihr Haus in Atlanta, das angeblich eine Million mal größer war als Omas altes Häuschen. In Atlanta hatten sie einen eigenen Swimmingpool, und Rhapsody konnte Freunde einladen, wann immer sie wollte. Oma hatte indes nicht einmal einen Fernseher, und schon gar nicht Kabelanschluss oder Internet. Wenn Rhapsody mit ihren Freundinnen chatten wollte, musste sie zu Fuß bis nach Hammond gehen, um dort den Computer der Stadtbücherei zu benutzen.
    Trotz ihres Gemaules schien sie glücklich zu sein, und ichkonnte die tiefe Zuneigung spüren, die sie mit ihrer Großmutter Essie verband.
    Am Ende der Straße lag eine winzige Siedlung aus Schindelhäusern, die »eingezäunt« war mit aufgestapelten Reifen, herrenlosen Autos und einem Sammelsurium aus verrosteten Elektrogeräten. Die Häuser hatten alle jeweils nur ein Stockwerk und standen auf Holzpfählen über dem Boden.
    Als wir an dem ersten Haus vorbeigingen, sah ich ein etwa vierzehnjähriges Mädchen, das im Schatten einer sich gefährlich neigenden Veranda kauerte und uns anstarrte. Rhapsody winkte ihr zu, und im selben Moment sprang das ältere Mädchen auf und rannte ins Haus.
    »Das ist Tay-Tay«, erklärte Rhapsody. »Sie mag es nicht, wenn ich sie anschaue.«
    »Warum nicht?«
    »Sie hat Angst vor mir.«
    »Warum sollte sie denn Angst vor dir haben?«
    »Oma ist ein Kräuterweiblein«, sagte sie und fügte mit geheimnisvollem Unterton hinzu: »Und ich bin das einzige Mädchen, das in meiner Familie noch übrig ist.«
    Essie murmelte irgendetwas vor sich hin, eine Ermahnung, nahm ich an, über die Rhapsody jedoch unbekümmert hinwegging.
    »Tay-Tay behauptet, ich hätte etwas in ihre Pepsi gemischt, damit ihr die Haare ausfallen, aber das hab’ ich nicht. Hätte ich allerdings können, wenn ich gewollt hätte.« Mit der ganzen Hochmütigkeit, die ein zehnjähriges Mädchen aufbringen kann, was in Rhapsodys Fall ziemlich viel war, warf sie ihre prachtvolle Mähne zurück.
    »So wie ich die Sache sehe, geht ein kleines Mädchen hier heute ohne Abendessen ins Bett«, tönte Essie mit warnender Stimme.
    »Entschuldige, Oma«, gab Rhapsody zerknirscht zurück,aber mich grinste sie dabei durchtrieben an und warf zugleich einen Stein in Richtung von Tay-Tays Haus.
    Als wir an dem nächsten Haus vorbeigingen, stieß ein vor dem Haus angeketteter Köter ein markerschütterndes Gejaule aus. Essie hob die Hand und der Hund verstummte,

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