Totenhauch
versuchte aufzustehen, aber die Veranda drehte sich jetzt noch schneller.
Ich spürte Rhapsodys Hände auf meinen Schultern, spürte, wie sie meinen Körper auf den Holzboden drückte.
SIEBZEHN
Ich tauchte auf aus hämmernden Kopfschmerzen.
Nur mit großer Mühe gelang es mir, die Augen zu öffnen. Verschwommene Gesichter starrten auf mich herunter.
»Sie kommt wieder zu sich«, sagte jemand. Ich glaubte, es war Rhapsody. Ich versuchte, mich aufzusetzen, doch ich sank nur noch tiefer in irgendetwas Weiches, das meinen Sturz abgefedert hatte.
»Bist du sicher, dass sie sie gesehen hat, Oma?«
»Und ob sie sie sieht.«
Ich erkannte Essies Stimme, und seltsamerweise konnte ich sie auf einmal ganz gut verstehen. Ob sie plötzlich deutlicher sprach oder ob ich mich an ihren Gullah-Akzent gewöhnt hatte, wusste ich nicht.
»Kannst du sie heilen?«
»Nein, Kindchen. Kein Kraut kann das Mädchen gesund machen. Sie is’ verhext. Sie is’ auf der anderen Seite gewesen. Sie is’ durch den Schleier gegangen und wieder zurück, und jetzt weiß ihre Seele nicht mehr, wo sie hingehört.«
»Kann sie Shani deshalb sehen?«
»Ich schätze, ja.«
Dann war es lange still, und während der ganzen Zeit hatte ich das Gefühl, als bewegte sich etwas, als würde jemand mit der Hand vor meinem Gesicht hin und her wedeln. Ich roch etwas Süßes, etwas Beißendes, dann gar nichts mehr.
»Was ist los, Oma? Was siehst du?«
Wieder Stille. Noch so ein seltsamer Geruch.
»Jemand is’ hinter diesem Mädchen her. Jemand mit einer Seele, die so schwarz is’ wie die tiefste Nacht. Jemand, der mit den Toten geht.«
Ich wollte sie fragen, was sie damit meinte, doch ich konnte nicht sprechen. Meine Zunge fühlte sich dick und schwer an, und meine Lippen gehorchten mir nicht.
Ich schloss die Augen, und die Stimmen verklangen.
Als ich zum zweiten Mal erwachte, war mein Kopf ganz klar, und ich spürte nur noch ein leichtes Pochen in den Schläfen, das mich daran erinnerte, dass es mir nicht gut gegangen war.
Ich wusste sofort, wo ich war – in Essies Haus. Dort lag ich auf einem Bett in dem Zimmer, das früher Mariama gehört hatte.
Ich stützte mich auf die Ellbogen und sah mich um.
Der Raum war beengt, obwohl in der einen Ecke nur ein Kleiderschrank aus Mahagoni stand und in der anderen das Bettgestell aus Eisen. Ich lag auf einem handgearbeiteten Quilt, der vermutlich noch aus der Zeit der Sklaverei stammte.
Durch das einzige Fenster im Raum sah ich, dass draußen noch Tag war, doch die Sonne, die durch das Fenster schien, hatte den weichen Glanz des Spätnachmittags. Ich stand auf, fand meine Stiefel und trug sie in der Hand durch das stille Haus.
Essie saß auf der Veranda und nähte Flicken aneinander für einen Quilt, während Rhapsody mit ein paar Kindern auf der Straße Fußball spielte. Sie war zwar kleiner und jünger als die anderen, doch ich hatte das Gefühl, dass sie sich sehr gut behauptete.
Essie blickte auf, musterte mich von Kopf bis Fuß, dann konzentrierte sie sich wieder auf ihre Handarbeit.
»Besser?«
»Ja, vielen Dank. Ich habe keine Ahnung, was los war.«
»Für Städterinnen is’ die Sonne hier zu heiß.«
»Nein, das war es nicht. Ich arbeite ständig in der Hitze draußen. Was war in dem Tee?«
»Mit dem Tee war alles in Ordnung. Den mach ich selber.«
Ich konnte nicht behaupten, dass mich das beruhigte.
»Irgendwas anderes saugt dich aus«, sagte sie mit wissendem Blick.
Sofort musste ich an Devlin denken.
»Essie, könnten wir uns einen Moment über Shani unterhalten?«
Ihre Hände waren ruhig, während sie die Nadel durch den Stoff zog. »Die Kleine kann keine Ruhe finden.«
»Warum nicht?«
»Sie will ihren Daddy nich’ verlassen. Sie kann nich’ gehen, solang’ er sie nich’ gehen lässt.«
Ich blickte zu ihr hinunter und verspürte tief in mir einen stechenden Schmerz.
Ich erinnerte mich plötzlich an den Abend, an dem ich Devlins Geister zum ersten Mal gesehen hatte – daran, dass Shani ihm kaum von der Seite gewichen war.
»Ich glaube nicht, dass er weiß, dass sie da ist«, sagte ich leise.
»Er weiß es.« Essie hob den Kopf mit den grauen Haaren und presste die linke Hand auf ihr Herz. »Hier drin weiß er es.«
Ich schloss die Augen. »Was will sie von mir?«
»Dass du es ihm sagst.«
»Das kann ich nicht.«
Mit bekümmertem Blick sah Essie mich an. »Vielleicht kannst du es jetzt noch nich’, aber der Tag wird kommen. Dann muss er eine Entscheidung
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