Totenhaut
verletzt, und ich wurde süchtig nach Schmerzmittel.«
»Welche Schmerzmittel?«, fragte Rick.
Scham trat in O’Connors Augen. »Diamorphin. Durch meine Tätigkeit als Chirurg hatte ich jederzeit ungehinderten Zugang dazu. Schließlich beeinträchtigte es meine Fähigkeiten als Operateur. Die Ärztekammer untersuchte meinen Fall, und man entzog mir vorübergehend die Zulassung. Ich machte eine Entzugstherapie und erhielt die Erlaubnis, wieder zu praktizieren – mit der Auflage allerdings, nie wieder zu operieren. Dieses Buch ist ein Überbleibsel meiner früheren Beschäftigung.«
Einen Augenblick sagte niemand ein Wort. Dann sah Jon sich um und meinte: »Für eine medizinische Praxis ist es hier immer sehr ruhig. Wann behandeln Sie eigentlich?«
»Normalerweise sind Donnerstag und Freitag meine Behandlungstage. So können meine Klienten sich am Wochenende erholen. Den Rest der Woche verbringe ich damit, Anfragen zu beantworten, Sprechstunde zu halten und, wenn ich der Meinung bin, dass es angebracht ist, Behandlungstermine zu vergeben.«
»Wenn diese Tage also im Wesentlichen dazu da sind, Aufträge an Land zu ziehen, warum haben Sie dann bei unserem letzten Besuch das Läuten an Ihrer Sprechanlage ignoriert?« Jon stand wieder auf und ging zum Fenster. Und auch der Arzt drehte sich wieder auf seinem Sessel um. »Wahrscheinlich, weil ich mich gerade mit Ihnen unterhalten habe.«
»Ich habe bei unserem letzten Besuch aus dem Fenster geschaut, genauso wie jetzt gerade, und gesehen, dass da unten eine Frau stand, die ich schon einmal gesehen habe. Sie arbeitet in einem Hotel an der A57. Als sie hoch blickte und mich am Fenster erkannte, konnte sie nicht schnell genug das Weite suchen. Warum wohl? Was glauben Sie?«
O’Connor zog kaum merklich eine Schulter hoch. »Vielleicht schämte sie sich, weil sie ästhetische Medizin in Anspruch nehmen wollte. Solchen Eingriffen haftet immer noch ein überraschend großes Stigma an. Allerdings wird das schon deutlich weniger. Dank des leuchtenden Beispiels unserer Prominenten.«
Jon meinte einen Hauch von Zynismus in der Stimme des Arztes zu hören. Er ging zur Tür und deutete über den Flur auf das Behandlungszimmer. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mich ein wenig umsehe? Nehmen Sie da Ihre Eingriffe vor?«
O’Connor blieb sitzen. Er beugte sich aber vor, und endlich war ihm seine Erregtheit anzumerken. »Es tut mir leid, aber dieser Raum ist abgeschlossen.«
»Sie haben doch sicher einen Schlüssel?«
»Den habe ich zu Hause gelassen. Meine Krankenschwester hat den anderen, aber sie kommt nur, wenn wir Behandlungen durchführen.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
Jon sah ihn unverwandt an. Er spürte, dass der Mann ihn anlog. Die ausdruckslose Miene nahm noch immer wie eine Maske sein Gesicht gefangen, doch auf seiner Stirn glänzte ein dünner Schweißfilm. Jon hatte die Hand ausgestreckt, als wolle er die Türklinke herunterdrücken.
Doch stattdessen durchschritt er das Sprechzimmer und näherte sich dem Gesicht des Arztes wie ein Raubtier vor dem tödlichen Angriff. Kleine Schweißperlen brachen aus den Poren der glänzenden Haut und liefen ihm die Stirn hinunter.
»Sie schwitzen ja, Herr Doktor. Oder spüren Sie das gar nicht? Vielleicht haben Sie ja ein bisschen zu viel Botox erwischt. Wäre schließlich nicht das erste Mal, dass Sie sich selbst behandelt hätten.«
Wütend wischte sich O’Connor mit einer Hand über die Stirn. »Ich verbitte mir diese Anspielung, und ich kann auch der Richtung, die dieses Gespräch nimmt, nichts abgewinnen. Ich habe nicht die Absicht, ohne meinen Anwalt noch irgendetwas zu sagen.«
»Das ist wahrscheinlich eine gute Idee«, erwiderte Jon. O’Connor stand auf und ging zur Tür. Jetzt sahen sie sein ausgeprägtes Hinken. »Guten Tag, meine Herren. Sie finden den Weg.«
Im Vorübergehen lächelte Jon ihn an. »Ich bin sicher, dass wir unser Gespräch mit Ihnen schon sehr bald fortsetzen werden, Herr Doktor.«
Als sie auf den Bürgersteig traten, nieselte es noch immer.
»Warum haben wir ihn nicht einfach festgenommen?«, fragte Rick.
Jon ging weiter. »Nach dem Fiasko mit Pete Gray? Da würde McCloughlin nicht nur der Hut, sondern gleich das ganze Schädeldach hochgehen.«
»Der Typ verarscht uns doch nach Strich und Faden.«
»Ich weiß.« Jon sperrte den Wagen auf. »Lass uns hier warten. Mal sehen, was er als Nächstes tut. Er hat die Fassung verloren. Ich wette, dass er jetzt wie
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