Totenhaut
Welle des Ekels überrollte Jon bei den Worten des Pathologen. Er hatte schon viele Obduktionen mitverfolgt, doch er hatte sich immer noch nicht an die makaberen Kommentare gewöhnt, die den Gerichtsmedizinern in der Leichenhalle ebenso leicht über die Lippen kamen wie seinen Rugbykollegen die Hänseleien in der Umkleide vor einem Spiel.
»Also kann es auch sein, dass er keine medizinische Ausbildung hat?«, hakte er nach und wurde sich plötzlich der Muskeln bewusst, die sich unter seiner Haut bewegten.
Der Pathologe stand auf und zog sich die Handschuhe aus. »Ein bisschen kennt er sich schon aus, aber dieses Wissen könnte er sich genauso gut an toten Schweinen angeeignet haben.«
»Jon, hast du die Lokalzeitung von letzter Woche gesehen?« Alices Stimme schallte vom Fuß der Treppe herauf.
Er blinzelte ein-, zweimal, um das Bild zu vertreiben. Dann warf er einen Blick auf die Zeitungsblätter, die den Tisch vor ihm bedeckten. »Ja, die hab ich hier oben.«
»Du nimmst sie doch nicht zum Abdecken?«
»Ist doch von letzter Woche, Schatz. Die von dieser Woche liegt unten neben dem Sofa, glaub ich.«
Da keuchte sie schon die Treppe herauf. Langsam zwar, aber schließlich erreichte sie doch das obere Stockwerk.
»Da war was in den Anzeigen, was ich aufheben wollte«, verkündete sie ein wenig atemlos.
Jon drehte sich um zur Tür, in der seine Freundin schon stand. Strähnen blonden Haares hingen ihr auf die Schulter, der fußballförmige Bauch behauptete seine Position zwischen T-Shirt und Trainingshose.
Jon wandte den Blick ab von dem seltsamen blauen Strich, der unter der stark gedehnten Haut zu sehen war.
»Was war’s denn?«
»Einer dieser Bauchtrainer.«
»Ich dachte, du kaufst den von Chloe?«
»Da ist mir jemand zuvorgekommen. Sie hat vergessen, mir zu sagen, dass sie auch einen Zettel an das Schwarze Brett bei ihr im Krankenhaus gehängt hat.«
»Zum Glück.« Jon hob die Wanne von Tisch und stellte sie auf den Boden. Er löste den mit Farbe beschmierten Löffel von einem der Blätter und hinterließ dabei einen dicken roten Schmierer. »Bist du sicher, dass das nicht ein bisschen zu grell ist?« Carol Millers Blut hatte sich noch immer nicht ganz aus seinem Kopf verflüchtigt.
»Jon, das wird ein Kinderzimmer. Das soll doch leuchtend und fröhlich sein.«
»Schon, aber rot? Das macht einen Raum doch kleiner, oder? Darum streichen sie damit auch die Decken von Kneipen.«
»Aha«, erwiderte sie. »Wir benutzen es aber nur für die Sockelleisten und den Türrahmen. Das restliche Zimmer bekommt dieses Hummelgelb.«
Jon blätterte die Zeitung durch und überflog die Anzeigenspalten.
»Da haben wir’s.« Sie kam zu ihm und zog eine Seite heraus. »Gesundheit und Schönheit«. Sie fuhr mit einem Finger die Spalte mit »B« entlang. »Hab ich’s doch gewusst: Bauchtrainer, zehn Pfund. VB.« Sie riss die Ecke der Seite ab.
Jon schaute auf ihre Riesenkugel. »Bist du sicher, dass das jetzt eine gute Idee ist?«
Alice kicherte. »Das ist doch für nachher. Mensch, ich kann mir doch kaum mehr die Schuhbänder selbst binden, was soll ich dann mit so was anfangen? Aber wenn das Kleine erst mal da ist, kann ich gleich die Bauch- und Beckenbodenmuskeln trainieren und meinen Bauch wieder in Form bringen.«
Jon trat hinter sie und spreizte seine Finger um ihren geschwollenen Leib. »Ich mag dich eigentlich ganz gern mit einer kleinen Wampe.«
Sie legte ihre Hände über seine, lehnte sich an seine Brust und drehte den Kopf, so dass sie ihn ansehen konnte.
»Wirst du sie auch dann noch mögen, wenn’s nur noch ein hängender Fleischsack ist?«
Jon bemühte sich um ein Lächeln. »Klar. Ist doch auch dann ein Teil von dir.«
Sie drückte seine Hände. »Und was ist mit dem Beckenboden? Wenn ich mir jedes Mal in die Hose pinkle, wenn ich die Stufen hinaufrenne?«
Sie hatte ihn auf ein Terrain bugsiert, auf dem er sich nicht auskannte, und er wollte seine Hände von ihr lösen. Sie hielt sie fest und bebte vor Lachen. »Das gehört alles dazu. Du solltest dich schon mal daran gewöhnen. Dank deinem Schöpfer, dass nicht du derjenige bist, der sich in ein paar Wochen hinlegen muss, die Beine in den Steigbügeln, und ein riesiges Freudenbündel rausquetschen.«
Jon grinste. »Du weißt, ich würde die Schmerzen mit dir teilen, wenn ich könnte.«
»Ja. Stimmt.« Sie ließ seine Hände los und ging hinaus, der Zeitungsfetzen flatterte hinter ihr her.
Jon stellte die Farbwanne wieder auf den
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