Totenheer (German Edition)
hügelige Dünenlandschaft. Dunstschleier hingen in der Luft, die sich nur leicht im Wind wiegten, jedoch nicht vertreiben ließen. Beim Nähe r kommen sah der Unsterbliche, dass sich in dem Dunst viele Gesta l ten abzeichneten, die ihre Arme wie zur Begrüßung emporreckten. Glühende Augenpaare blitzten auf. Geister, durchfuhr es Larkyen.
„Wir haben Kentar erreicht!“
Wothar war zu entkräftet, um noch bei klarem Bewusstsein zu erleben, wie seine Füße Festland berührten. Erst jetzt e r laubte er sich, seiner Erschöpfung nachzugeben, und sank auf den Steinen nieder. Dem Kedanerhengst Alvan erging es nicht a n ders.
Larkyen war der einzige der noch aufrecht stehen konnte, die Erschöpfung der Sterblichen kannte er nicht. Er sammelte eiligst tro c kenes Brennholz nahe den Dünen und entfachte ein kleines Feuer, an dem sich seine Gefährten wärmen konnten.
Larkyen näherte sich den Geistern bis auf wenige Schritte, dann griff er in die Tasche seines Mantels und ergriff das Wolfszepter, um es ihnen zu zeigen.
Die Geister wurden unruhig, ihre zuvor noch so starren Mienen re g ten sich.
„Teilt eurem König mit, dass ich habe, was er will.“
Nun hörte Larkyen die Geister das erste Mal sprechen; es war nicht mehr als ein Wispern, das auch der kalte Wind an der Küste hätte verursachen können.
„Unser König hat von deiner Rückkehr erfahren, und er ist erfreut, dass du im Besitz des Zepters bist. Er bricht in Kürze zu dir auf. Erwarte seine Ankunft an der Küste zur Mitte des Tages, dann wirst du auch dein Weib, die Göttin Patryous wi e de r sehen.“
Als Larkyen und Wothar auf den Dünen standen, tanzten b e reits Schneeflocken vor ihnen in der Luft und läuteten den B e ginn des Winters in Kentar ein. Seit geraumer Weile beobac h teten sie eine Ebene, die der König überqueren musste, um zur Küste zu gelangen. Nicht weit von den beiden Gefährten en t fernt verharrten die Geister des Totenheers in gleicher Erwa r tungshaltung. Mittlerweile fühlte sich Wothar in Gegenwart seiner früheren Waffenbrüder unwohl, das Totenheer schien ihm fremd geworden zu sein. Die Welt hatte sich so sehr ve r ändert.
Als die Sonne im Zenit stand, ritt Wulfgar, der König der Ke n taren, heran. Er war in ein Kettenhemd gekleidet, und sein Haupt zierte ein nordischer Kriegshelm; auf den Rücken hatte er sich ein Lan g schwert geschnallt. Demonstrativ hielt er in der rechten Hand den schwarzen Speer der Göttin Patryous, als wolle er Larkyen an die Begleichung ihrer Abmachung eri n nern. Die Satteltaschen seines Pferdes waren prall gefüllt. Der König zeigte sich bereit, sofort in den Krieg zu ziehen. Er hielt an einer Stelle, wo sich besonders viele Geister in einem Kreis tummelten. Unvermittelt rammte er den Speer in den Boden.
„Ich grüße euch. Seid ihr also wohlbehalten zurückgekehrt, s o gar zwei Tage vor der Sonnenwende.“
Erst als der König von seinem Pferd abstieg, bemerkte La r kyen die schlanke Gestalt, die mit Stricken auf den Pferderr ü cken festgebunden war. Der König nahm sie über seine Schu l tern. Es war eine uralte Frau, deren grauer Haarschopf im Wind flatterte. Unsacht warf er sie vor Larkyens Füßen zu Boden, und ihr Körper rollte umher. La r kyen erschrak. „Patryous!“
Sie sah anders aus als in seinen schönen Erinnerungen, ihr Leib war noch immer eingefallen, und wie gegerbtes Leder spannte sich die rissige Haut über den darunterliegenden Kn o chen. Ihr Gesicht glich beinahe den vielen verwitterten Sch ä deln, die die Ebenen und Wälder Kentars säumten. Noch i m mer klebte an ihr die Erde, in der sie begraben gewesen war. Die Augen fest geschlossen und ohne ein Anzeichen dafür, dass sie atmete, schien sie dem Tod näher als dem Leben zu sein.
„Sie wird sich erholen“, erklärte Wulfgar. „Ihre Selbsthe i lungskräfte können nun ungehindert wirken.“
Die Geister sanken zu Patryous herab, sie flüsterten wirr durcheinander. Mit ihren schemenhaften Händen strichen sie beinahe liebevoll über ihren Leib. Manche jedoch krallten sich in ihrem Fleisch fest, als wollten sie sich weigern, ihre Geisel einfach so herzugeben.
„Schert euch weg von ihr“, knurrte Larkyen.
Auf einen Wink des Königs zogen sich die Geister von P a tryous z u rück.
Larkyen beugte sich schützend über sie, er konnte nicht a n ders, als sie selbst zu berühren. Endlich. Er befreite ihr Gesicht von Erdresten, unter seinen Fingern fühlte sich ihre Haut wie trockenes Laub an, und sie war
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