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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
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einfach ein Boot kaufen können? Außerdem war es ja gerade Fletchers Job, für Rattigan Schiffe zu organisieren, oder nicht?«
    » Doch.«
    » Und haben Sie vergessen, dass Rattigan seit fast einem Jahr tot ist?«
    » Nein.«
    » Und da glauben Sie nicht, dass es sich hier möglicherweise um eine falsche Fährte handeln könnte?«
    » Um eine Heilbuttfährte vielleicht?«
    Ich lache. Ich finde das sehr witzig und lache ziemlich laut. Axelsen findet es überhaupt nicht witzig, und ich höre auf zu lachen.
    » Haben Sie die Liste, um die ich Sie gebeten habe?«
    Ich kneife die Augen zusammen und denke ernsthaft über diese Frage nach, doch dann zieht wieder der Nebel auf, und alle Antworten sind in weite Ferne gerückt. Ich kann mich beim besten Willen an keine Liste erinnern.
    Ob er stattdessen über den Heilbutt im Allgemeinen informiert werden will? Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen wohl eher nicht. Also schweige ich. Ein Jammer, denn es ist ein interessanter Fisch. Der Heilbutt hat einen weißen Bauch, daher sieht er von unten wie der Himmel aus, und eine dunkle Oberseite, damit er von oben wie der Meeresgrund wirkt. Eine helle und eine dunkle Seite. Schade, dass man die helle Seite nur selten zu Gesicht bekommt.
    » Ist alles in Ordnung? Sie sehen nicht gut aus.«
    » Mir geht’s auch nicht gut.«
    » Hatten Sie einen Unfall oder so etwas?«
    Ich schüttle den Kopf. Obwohl ich mich an den heutigen Tag nicht besonders gut erinnern kann, wäre mir so was doch im Gedächtnis geblieben.
    » Sie sehen aus, als hätten Sie einen Schock. Fahren Sie doch nach Hause, ruhen Sie sich aus und spannen Sie am Wochenende mal aus. In diesem Zustand sind Sie mir sowieso keine große Hilfe.«
    Ich nicke und versuche, nachdenklich auszusehen, als hätten wir gerade eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen, und ich wäre nach reiflicher Überlegung geneigt, ihm zuzustimmen.
    » Ich fahre nach Hause. Ja. Gute Idee. Tut mir leid.« Ich weiß nicht, warum ich mich bei ihm entschuldige, außer dass ich den Ausdruck » keine große Hilfe« schon mal gehört habe und keine guten Erinnerungen damit verbinde. » Tut mir leid«, sage ich noch mal und setze mich an den Schreibtisch, um meine Sachen zusammenzupacken. Axelsen macht sich wieder daran, Kriminelle zu jagen und die Welt ein kleines bisschen sicherer zu machen.
    Bevor ich gehe, google ich allerdings noch das Wort » Schock« und lande auf einer Wikipedia-Seite, wo man mir drei Alternativen zur Auswahl stellt:
Schock (Medizin): akute Unterversorgung lebenswichtiger Organe mit Blutsauerstoff
akute Belastungsreaktion, umgangssprachlich » Schock« genannt: die Folge einer extremen psychischen Belastung, für die der Betroffene keine geeignete Bewältigungsstrategie besitzt
posttraumatische Belastungsstörung ( PTBS ), eine längerfristige Komplikation einer akuten Belastungsreaktion
    Ich brauche eine Weile, bis ich das verstanden habe. Aber die interessanten Fakten über den Heilbutt sind mir ja auch nicht einfach zugeflogen. Einen medizinischen Schock habe ich jedenfalls nicht. Den kriegt man nur in Krankenhäusern, und das hat mit meinem aktuellen Zustand nichts zu tun.
    PTBS . Lev hat ja behauptet, dass ich daran leiden würde, doch das ist eine langfristige Sache. Die ständige Konfrontation mit einem Ereignis, das vor langer Zeit passiert ist.
    Die akute Belastungsreaktion scheint mir da am interessantesten – » umgangssprachlich › Schock‹ genannt«. DI Axelsen hat den Ausdruck sicher umgangssprachlich gebraucht. Offenbar weiß er es nicht besser, obwohl er immerhin Detective Inspector bei der Gwent Police ist. Trotzdem scheint er auf der richtigen Spur zu sein. Wikipedia zum Thema:
    Die akute Belastungsreaktion (Abk. ABR ) ist die psychologische Reaktion auf eine extreme psychische oder traumatische Belastung.
    Etwas weiter unten erfahre ich, welche Symptome ich haben sollte:
    In der Akutphase – also im sogenannten peritraumatischen Zeitraum – ist vor allem eine Betäubung der betroffenen Person auffällig. Außerdem kommen dissoziative Symptome vor, d. h. das Gefühl, nicht man selbst zu sein oder alles wie durch einen Filter oder eine Kamera zu erleben (Depersonalisation, Derealisation).
    Später kommt es oft zu einem Wiedererleben (Intrusion) des Ereignisses, also dem Eindringen des Erlebten in den Alltag. Das kann in Form von Albträumen oder auch als sich aufdrängende Erinnerungen (Flashbacks) geschehen.
    Betäubung? Jawohl, hab ich. Dissoziative

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