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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
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aber völlig erschöpft. Wenn die Ermittlungen einmal dieses Stadium erreicht haben, muss jeder alles machen, selbst wenn er nicht unbedingt dafür geeignet ist.
    Das sehe ich ein, aber trotzdem ist mir nicht wohl dabei, wenn ich mir vorstelle, wie Jim Davis Ioana ins Gebet nimmt: » Wir bitten Sie, die Aussagen, die Sie bei der vorherigen Vernehmung am Montag, den 31. Mai, gegenüber den Beamten Alexander und Griffiths gemacht haben, zu bestätigen. Wir bitten Sie, sorglos Ihr eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Wir bitten Sie, über meine gelben Zähne und DS Alexanders unmöglich blondes Haar hinwegzusehen. Noch Fragen, Ms Balcescu? Har-har-har.«
    Ich denke an Ioanas geschundenen Körper. An Jayneys Blutergüsse. An Stacey Edwards’ Leiche. Aprils kleinen Kopf. Gedankenbilder, die ich besser vermeiden sollte. Mir geht’s nicht so besonders gut.
    Trou -ma.
    Jackson beendet seinen Vortrag mit der Frage nach Fragen oder weiteren Anregungen.
    Am liebsten würde ich die Hand heben und sagen, dass unten in Newport ein Mann vermisst wird, der über 200 000 Pfund in bar zu Hause herumliegen hatte. Ich will sagen, was ich in Charlotte Rattigans Augen gesehen habe: dass ihr Mann – ihr verstorbener Mann? – gerne Straßenhuren gevögelt hat. Ich will alles Mögliche sagen, kann aber nicht. Obwohl ich gerade Applaus bekommen habe und zur Ermittlerin des Tages ernannt wurde, interessiert sich außer mir niemand für diese Dinge. Wenn ich jetzt etwas sagen würde, wäre mein Beitrag wie ein Artikel auf der letzten Seite der Zeitung. Das komische Finale der Besprechung. Das Vermischte. Das wäre ich. Der kleine Hase, der irgendwie auf dem Baum gelandet ist. Die Katze, die auf YouTube mit einem Hund tanzt.
    Also halte ich die Klappe.
    Alle machen sich an die Arbeit – im Bewusstsein, dass der Fall bald geknackt sein wird. Killer gefasst, Job erledigt, eine Runde für alle. Für alle? Nein, nicht ganz – Ms Fiona Griffiths, die offizielle Komikerin der Dienststelle, trinkt kein Bier. Sie ist auch keine richtige Polizistin, aber wir bemühen uns, so aufgeschlossen wie möglich zu sein. Da, guckt! Nun trinkt sie etwas Sprudelwasser, und gleich wird sie in den Müsliriegel beißen. Wissen Sie, heutzutage stellen wir alle möglichen Leute ein und schnappen die Bösen trotzdem.
    Bev Rowland geht auf mich zu. Sie sagt, dass ich krank aussehe. Ihr Gesicht ist so rund wie der Mond, allerdings ist sie im Gegensatz zum Mond sehr nett und äußerst gesprächig. Sie versucht nach Kräften, mich zum Wohlbefinden zu plappern, aber dafür bin ich heute nicht empfänglich. Ich sage, dass ich noch ein paar Mails lesen und mich dann verziehen werde. Da ich ihr nicht erzähle, dass ich mich nach Newport verziehen will, lässt sie diese Entschuldigung gelten.
    Wir verabreden uns zum Tee, nachdem wir unsere Mails gelesen haben, und ich gehe nach oben.
    Fehler. Hughes fängt mich an meinem Schreibtisch ab. Das war eine Falle. Eine hughes’sche Falle.
    Er hält mir einen Vortrag über Dienstpläne und Befragungsnotizen. Ich höre ihm gar nicht richtig zu. Ist ja auch nicht sein Fall. Lohan gehört Jackson. Penry gehört Matthews. Fletcher gehört Axelsen. Als ich wieder zuhöre, redet Hughes gerade über die Autopsie an Stacey Edwards. Er sagt, wenn ich die letzte schon so gut gemacht habe, kann ich die ja auch übernehmen. Ich soll am Montagnachmittag anwesend sein und Notizen machen, wenn sich Hughes und Dr. Price um die Wette zu Tode langweilen. Es wird ein denkbar knapper Weltklasse-Wettkampf im Zu-Tode-Langweilen, aber ich setze auf Price.
    Die Autopsie an Edwards hatte ich ganz vergessen. Selbstverständlich wird sie stattfinden, aber das war mir völlig entfallen. » Ja, natürlich, großartig«, sage ich, obwohl ich nicht so recht weiß, was das Wiedersehen mit Edwards in mir auslösen wird. Zurzeit weiß ich gar nichts so recht. Ich werfe in jede noch so kurze Gesprächspause ein » Jawohl, Sir« ein, bis es selbst Hughes zu viel wird und er sich aus dem Staub macht. Die nächsten zwanzig Minuten verbringe ich mit meinen Mails, weiß aber nicht, was ich damit anfangen soll. Ich schreibe Brydon eine SMS . Er ruft zurück, wir plaudern zehn Minuten lang, dann hat er keine Zeit mehr. Ich trinke Pfefferminztee und bringe eine halbwegs vernünftige Konversation mit Bev zustande. Dann fahre ich nach Newport.
    Das bei Rattigan Transport stationierte Team ist auf zwei Mitglieder geschrumpft, und beide arbeiten nicht mehr Vollzeit an dem Fall.

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