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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
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April war ihr dankbar dafür. April war Janets Tochter. Dieselben Gene, dasselbe Blut.
    Das wollte April mir sagen.
    Am liebsten würde ich loslachen, weil es so einfach ist. Aber diese Nacht ist eine ruhige Nacht, daher lache ich lautlos. Ich werde es später nachholen.
    Ich bin nun so glücklich wie nie zuvor. Alles wird gut.
    Dann werde ich langsam müde. Ich schiebe die beiden Bahren zusammen und lege mich zum Schlafen dazwischen. Ich schlafe und halte dabei Aprils Hand und vergrabe mein Gesicht in Janets beneidenswertem kupferfarbenem Haar. Wir schlafen den Schlaf der Toten.

39
    Es ist irgendwann nach Sonnenaufgang. Ich bin steif wie ein Brett und so kalt wie der Tee von gestern. Janet und April geht’s gut. Wahrscheinlich lachen sie mich aus. Ja, lacht nur, meine hirnlosen Freundinnen.
    Ich schiebe die beiden Bahren an ihre ursprüngliche Position zurück und decke die Leichen wieder zu. Bevor ich gehe, gebe ich beiden noch einen Kuss. Janet auf die Stirn, April auf das, was von ihrer Wange übrig ist. Auch Stacey kriegt ein Küsschen.
    » Gute Nacht, Damen, gute Nacht, süße Damen, gute Nacht, gute Nacht!«
    Ein paar Worte aus Hamlet – nicht dass sie denken, sie hätten die Nacht mit einer ungebildeten Frau verbracht. Dann konzentriere ich mich darauf, die Katastrophe zu verhindern, die nicht nur meine Karriere zerstören könnte, sondern auch alles, was ich mir in den letzten Jahren aufgebaut habe. Wenn der gute Dr. Pedant und seine Meute mich heute Morgen hier finden, bin ich erledigt – und das zu Recht.
    Komisch, dass mir das jetzt erst einfällt. Während des nächtlichen Versteckspiels habe ich nicht eine Sekunde daran verschwendet. Oder dieses Problem überhaupt in meine Planungen miteinbezogen.
    Ich frage mich, ob ich den Ausgang der Woche nicht etwas zu optimistisch eingeschätzt habe.
    Wie erwartet ist die Vordertür verschlossen. Auf dem Notausgang ist ein großes grünes Schild angebracht, das mich darauf hinweist, dass die Klinke mit einem Alarm verbunden ist. Das will ich nicht riskieren.
    Ach du Scheiße. Eigentlich bin ich keine große Anhängerin der Fensterkletterei, aber mir bleibt keine andere Wahl. Das Fenster in Janets und Aprils Zimmer ist eng und ziemlich weit oben, und ich kann mich nicht erinnern, dass auf der anderen Seite etwas stehen würde, das mir weiterhelfen könnte. Dann fällt mir der Schauraum ein, und – Gott sei Dank, Gott sei Dank, Gott sei Dank – ist dort ein einigermaßen großes Fenster, das glücklicherweise auch noch auf das Dach der Krankenhausküche führt. Ich werfe meine Handtasche hindurch. Nun muss ich ihr wohl oder übel folgen. Meine Schuhe sind zwar für die Büroarbeit ziemlich praktisch, aber trotzdem nicht die erste Wahl, wenn man aus einem Fenster steigen will. Ich ziehe sie aus, und schon bald gesellen sie sich zur Handtasche. Dann die Jacke. Die behindert mich zwar nicht, aber ich will sie nicht kaputt machen. Ich frage mich, ob schon jemand in der Küche ist und ob derjenige bemerkt hat, dass jemand anderes seine Garderobe aufs Dach wirft.
    Anschließend stelle ich mich auf den Stuhl, den ich unter das Fenster geschoben habe, und versuche hindurchzuklettern. Mein Kleid ist nicht unbedingt für solche athletischen Aktivitäten gemacht, nackt aus einem Leichenschauhaus zu steigen wäre allerdings noch viel unpassender, egal wie elegant man sich dabei anstellt. Daher stopfe ich das Kleid in die Strumpfhose und quetsche mich durch die Fensteröffnung. Dabei stoße ich mir den Oberschenkel am Griff und meine Unterarme am Fensterbrett, als ich mich daran hinunterlasse. Mein linker Knöchel tut auch weh. Ich bin wohl wirklich nicht für so etwas geschaffen.
    Kleid aus der Strumpfhose, Jacke an, Schuhe an, Handtasche ordentlich unter den Arm geklemmt. Ich streiche mein Haar wieder glatt, aber ohne Dusche wird es fürchterlich aussehen. Abgesehen davon, dass ich um fünf Uhr früh auf der Küche der Universitätsklinik von Wales stehe, sehe ich eigentlich ziemlich anständig aus. Rede ich mir zumindest ein. Auf dem Klinikcampus geistern ein paar Leute herum, doch die gehören zum Personal und interessieren sich nicht die Bohne dafür, dass eine Verrückte auf dem Dach der Küche herumspringt. Ich sehe mich nach einer Abstiegsmöglichkeit um. Da leider Gottes niemand so nett war, eine Leiter aufzustellen, hänge ich mich an die Regenrinne und lasse mich von dort aus auf den Boden fallen, wobei ich mir erneut den Knöchel anstoße. Nur diesmal noch

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