Totenklage
schlimmer.
Dann setze ich mich ein paar Minuten zwischen ein paar Mülltonnen und fluche, bis der Schmerz nachlässt.
Ich humple zu meinem Auto und schließe es auf. Wohin jetzt? Mein erster Gedanke ist: heim zu meinen Eltern. Das ist nur ein paar Minuten von hier, und Mam steht sowieso immer lächerlich früh auf. Ich fahre los, durch den Cathays-Friedhof und den Roath Park zum See und den großen Häusern, in denen es sich so angenehm leben lässt. Dann, tatsächlich nur noch eine halbe Minute von meinen Eltern entfernt, überlege ich es mir anders, wende in einem waghalsigen Manöver und fahre nach Hause. Zu mir nach Hause, nicht zu ihnen.
Ich bin überglücklich. Große Ozeanwellen des Glücks schlagen über mir zusammen, und ich laufe schreiend und lachend durch die Gischt. Die letzte Nacht war toll, aber auch friedlich. Dieser Morgen ist auch toll, allerdings überhaupt nicht friedlich. Ich will laut hupen, Fremde küssen, mit hundert Sachen dahinrasen, in der Cardiff Bay schwimmen und die Welt in Rosenblüten ertränken. Ich öffne das Autodach, fahre zu schnell und höre Take That mit maximaler Lautstärke.
Und ich kann einfach nicht aufhören zu lächeln. Ich versuche es aber auch gar nicht.
40
Das Begräbnis ist einhundert Millionen Mal schöner als erwartet. Es sind so viele Leute nach Thornhill gekommen, dass sie nicht alle Platz im Krematorium haben. Die Beerdigung wird draußen abgehalten. Mithilfe von Lautsprechern ist alles zu hören – trotz des Dröhnens der Autobahn, die gleich hinter den Bäumen verläuft. Ungefähr achtzig Prozent der Anwesenden sind Schulkinder. Sie sind nur hier, weil ihre Schulen ein Zeichen setzen wollen, doch das ist mir egal. Schulkinder sind das ideale Publikum. Jedenfalls für April. Der Trompeter spielt fantastisch. Das Streichquartett ist mir etwas zu vorsichtig und zurückhaltend, um groß aufzufallen, aber April, Janet und Stacey sind schwer beeindruckt, weil sie überhaupt ein Streichquartett bekommen haben. Der Sänger ist viel besser – da bleibt kein Auge trocken. Bis auf meine natürlich, doch die zählen nicht. Die einheimische Popsängerin kreuzt tatsächlich auf. Sie holpert sich durch ein rührseliges Gedicht, und wieder weinen alle. Außerdem gibt es Berge von Blumen. Ich weiß nicht, ob ich die alle bezahlt habe, aber das ist ja auch egal. Es sind Blumen mit Blüten, und die mögen April und ich am liebsten.
Ein Förderband fährt die Särge aus dem Raum, in dem die Beerdigung stattfindet, ins Krematorium, das mit roten Vorhängen abgetrennt ist. Als Aprils kleiner Sarg hinter dem Vorhang verschwindet, fangen alle im Raum an zu klatschen. Wahrscheinlich haben ein paar Schüler damit angefangen, da sie nicht wussten, was sie sonst tun sollen. Auf jeden Fall war es das Richtige, und es dauert nur einen Augenblick, bis alle, drinnen wie draußen, klatschen. Der Trompeter – mein Lieblingstrompeter – nutzt die Gunst der Stunde und stimmt eine Weise an, die gleichzeitig fröhlich und traurig und schwer und triumphierend ist. Der Bürgermeister taucht auch noch auf und hält eine sehr kurze und wohlüberlegte Rede.
Möglich, dass ich die Einzige bin, die keine Tränen vergießt. Den anderen laufen sie nur so über die Wangen.
Ich frage mich, wie das wohl ist. Wie sich das wohl anfühlt?
Aber darüber grüble ich nicht lange nach. Meine Gedanken sind bei April und ihrer letzten Reise. Ins Feuer. Durch den Schornstein. Mit dem Wind über Cardiff und die walisischen Hügel. Sie ist glücklich. Beide, sie und Janet. Sie und ihre Mam. Stacey Edwards auch, nehme ich an. Sie sind alle glücklich. Für immer und ewig.
41
Nach der Beerdigung gibt es ein paar Dinge zu erledigen.
Brydon war auch da. Ich weiß nicht, woher er wusste, dass mir das so wichtig ist. Im Büro jedenfalls hat er kein großes Aufhebens darum gemacht. Auch während des Gottesdienstes kommt er nicht in meine Nähe. Er will mir wohl die nötige Bewegungsfreiheit lassen. Als dann alle aus dem Krematorium drängen und sich auf dem öffentlichen, mit Blumen bepflanzten Rasen davor verteilen, kommt er rüber und drückt meinen Arm.
» Alles okay?«
» Ja.«
» Das war ja mal eine Verabschiedung.«
» Ja.«
» Da muss sich jemand richtig reingehängt haben, um das alles zu organisieren.«
Ich lächle ihn an. » Ja.«
Wir plaudern noch ein bisschen, und mir fällt auf, dass Brydon ziemlich reserviert wirkt. Ist er sauer? Auf mich? Keine Ahnung. Wenn ja, dann weiß ich nicht, weshalb.
Weitere Kostenlose Bücher