Totenklage
Stutbücher von Weatherbys, in denen alle Vollblüter in England registriert sind.
Das Telefon klingelt, und ich gehe fast unbewusst ran.
Es geht um Operation Lohan, einer von nur fünf Anrufen heute. Der Fall wurde in den Medien ziemlich breitgetreten, aber die traurige Wahrheit ist, dass die Öffentlichkeit trotz des grausamen Mordes an April kein großes Interesse zeigt. Der Tod einer Mutter mit ihrem Kind hat normalerweise mehr als hundert Anrufe pro Tag zur Folge. Aber aufgrund Janets zweifelhafter Vergangenheit ist die öffentliche Reaktion gleich null.
Die Anruferin stellt sich als eine gewisse Amanda vor, die Janet entfernt kannte und sich nur meldet, weil ihre Tochter mit April befreundet war – dasselbe Alter, dieselbe Klasse.
» Ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt anrufen sollte. Ich hoffe, das ist in Ordnung.«
» Natürlich. Jede Information kann hilfreich sein.« Dann rattere ich die Fragen runter, die ich stellen soll. Wen Janet noch gekannt hat und so. Amanda gibt ihr Bestes, weiß aber nicht allzu viel. Die einzigen » Bekannten«, die ihr in den Sinn kommen, sind die anderen Mütter der Schulkinder, und von denen ist wohl keine eine notorische Spülbeckenwerferin.
» Hatte sie einen … gewissen Ruf?«, frage ich. » Also, ich meine, haben die anderen Mütter über sie geredet? Dass sie schlechter Umgang wäre oder etwas in der Richtung?«
Amanda antwortet nicht sofort. Das ist üblicherweise ein gutes Zeichen. So auch jetzt. Sie überlegt sich ganz genau, was sie antwortet.
» Nein. Könnte ich nicht behaupten. Wissen Sie, in dieser Schule sind alle möglichen Kinder. Also, nicht nur Ausländer oder so. Das auch. Aber die Mütter kommen aus allen möglichen Schichten, verstehen Sie? Stinkreiche, Prolls, ganz normale, einfach alle. Janet, na ja, also besonders reich war die nicht, oder? Jedenfalls wurde sie nie zum Latte Macchiato eingeladen oder so. Aber sie war nett. Sie war engagiert. Sie hat mich gefragt, ob Tilly – das ist meine Tochter –, ob Tilly schon lesen gelernt hat. Ich hatte den Eindruck, sie wollte mehr für April tun, wusste aber nicht genau, wie. Ein paar Mal ist Tilly bei April gewesen, und ich hätte sie nicht dorthin gehen lassen, wenn ich auch nur die geringsten Bedenken gehabt hätte.«
» Amanda, wissen Sie, wie sie gestorben sind?«
» Wie bitte?«
» Wie und wo? Man hat sie in einer Bruchbude gefunden. Einer richtigen Müllhalde mit nur einer Matratze, auf der sie wohl zu zweit geschlafen haben. Ohne Bettlaken. Unter einer dreckigen Decke.«
Wieder eine lange Pause. Ich frage mich, ob ich es wieder mal vermasselt habe. Zu viel gesagt habe. Unsensibel vorgegangen bin. Jemanden in Rage gebracht habe, der gleich Jackson anrufen wird. Hat Amanda angefangen zu weinen? Ich versuche sofort, die Wogen zu glätten.
» Tut mir leid, Amanda. Ich wollte nicht …«
» Nein, nein, ist schon in Ordnung. Was passiert ist, ist passiert.«
» Ich wollte nur, dass Sie wissen …«
» Ich verstehe. Sie wollten, dass ich sage: › Natürlich, das beweist nur, was für eine schlechte Mutter Janet Mancini war.‹«
» Und?«
» Und? War sie nicht. Überhaupt nicht. Na ja, wir waren nicht gerade beste Freundinnen. Wir hatten einfach nicht viel gemeinsam. Trotzdem – sie hätte alles für April getan. Das weiß ich ganz bestimmt. Wenn sie April an einen solchen Ort gebracht hat, muss sie Angst um sie gehabt haben oder so. Oder vielleicht ist ihr Leben plötzlich komplett den Bach runtergegangen. Trotzdem hätte sie sich um April gekümmert. Auf jeden Fall. Unglaublich. Tut mir leid.«
Inzwischen ist Amanda völlig aufgelöst, entschuldigt sich dafür, heult weiter. Ich höre zu und sage, was man in solchen Situationen eben sagt. Vielleicht sage ich irgendwann sogar: » Schon gut, schon gut«, was ziemlich bescheuert klingt, aber wohl ausreicht, um Amanda zu beruhigen.
Seit ich bei der Polizei bin, habe ich nicht einmal geweint. Okay, das hat nicht viel zu bedeuten. Ich habe nicht mehr geweint, seit ich sechs oder sieben Jahre alt war. Jedenfalls seit einer Ewigkeit nicht mehr, und damals auch nur selten. Letztes Jahr wurde ich zu einem Autounfall gerufen, einem ziemlich üblen Crash auf der Eastern Avenue. Das einzige Opfer war ein kleiner Junge, der beide Beine verlor und schwere Gesichtsverletzungen erlitt. Während wir ihn aus dem Auto zogen und in den Krankenwagen hievten, weinte er die ganze Zeit über und hielt seinen Stofftiger fest umklammert. Ich habe nicht
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