Totenklage
Teenager. Er trägt ein schwarzes T-Shirt und eine Cargohose. Eine Leinenweste mit haufenweise Taschen hängt über der Stuhllehne. Er hat braunes Haar und benutzt kein Deodorant.
» Kaffee?«
» Nein, vielen Dank. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gleich zur Sache kommen.«
Zu meiner Überraschung ist Bettinson äußerst zuvorkommend. Er muss zu einem Shooting, erlaubt mir aber, mich umzusehen. Er setzt mich an einen Schreibtisch und zeigt mir, nach welchem System er seine Daten abgespeichert hat. Die Fotos sind nach dem Tag der Aufnahme in Ordnern gespeichert. Jedes Foto hat als Dateiname eine Nummer, und die Ordner sind ebenfalls nach Datum sortiert. Das war’s. Er hat in einer Tabelle verzeichnet, an welchem Tag er wo war und welche Ausgaben und Unkosten er hatte. Er zeigt mir, wie man zwischen der Vollbildansicht eines Fotos und der Vorschau umschaltet.
» Sie sind nach Datum sortiert. Wenn Sie nicht wissen, wann das Foto …«
» Weiß ich nicht.«
» Wollen Sie mir verraten, wonach Sie suchen?«
Ich zögere. » Ich suche nach einer Verbindung zwischen zwei Personen. Beide interessierten sich für Pferderennen und wohnten in der näheren Umgebung. Ein Foto, das beide gemeinsam auf der Rennbahn zeigt, könnte eine solche Verbindung beweisen.« Mehr will ich nicht verraten, aus Angst, Jackson könnte herausfinden, dass ich hier bin.
» Tja, da hätte ich zumindest ein paar Datumsangaben.«
Er gibt mir einige alte Rennkalender, auf denen die Tage markiert sind, an denen Rennen stattgefunden haben, fragt nach, ob ich wirklich keinen Kaffee will, und macht sich dann mit seiner Ausrüstung auf den Weg.
Der Bandbreite der Bilder nach zu urteilen übernimmt Bettinson so gut wie jeden Auftrag. Hochzeiten. Schulfeste. Pferderennen. Ein paar Pressefotos sind auch dabei. Seine Haupteinnahmequelle scheinen jedoch die Pferderennen zu sein. Etwa vierzig Prozent der Bilder stammen von den Rennbahnen. Zwangsläufig sind auf den meisten Pferde zu sehen, aber etwa zwanzig Prozent der Rennbahnbilder – was dann zehn Prozent des gesamten Fundus ausmacht – zeigen Pferdebesitzer, das Wettpublikum, die ganze Szene eben, die sich dort trifft.
Da mir keine bessere Vorgehensweise einfällt, fange ich mit der Woche nach Rattigans Tod an und arbeite mich nach hinten durch das Archiv. Nach vierzig Minuten konzentrierter Arbeit habe ich einen Monat durchgesehen. Farbige Bilder tanzen vor meinen Augen, wenn ich sie schließe. Endlose Fotoreihen von Männern in Tweedjacketts, Pferdeschnauzen und -rosetten, Silberpokalen, Preisverleihungen mit Siegerpodesten und Werbetafeln, pferdegesichtigen Frauen in gefütterten Strickjacken und hübschen jungen Dingern mit strahlendem Lächeln und tiefen Ausschnitten. Aber kein Penry. Ein paar Mal ist Rattigan zu sehen, wenn seine Pferde irgendetwas gewonnen haben, aber nichts, was mir weiterhilft.
Ich frage mich, ob ich etwas übersehen habe.
Dann höre ich meine Mailbox ab, damit ich keine wichtige Nachricht von Hughes oder Jackson verpasse. Nichts.
Ich mache weiter. Wieder Pferde. Wieder Tweed. Wieder Rosetten. Je mehr Fotos ich vergebens anstarre, umso pessimistischer werde ich. Als Bettinson zurückkommt, habe ich immer noch nicht gefunden, wonach ich suche, und frage mich ernsthaft, ob es ein solches Bild überhaupt gibt. Ich muss langsam los.
Er fragt, ob ich fündig geworden bin, und ich verneine.
» Suchen Sie nach, nun ja, einer bestimmten Person?«
» Ja.«
» Dürfen Sie mir verraten, nach wem?«
» Nun, wenn Sie es nicht weitererzählen: Die eine Person ist Brendan Rattigan. Ich …«
» Rattigan? Hätten Sie das doch gleich gesagt. Scheiße, ich hab hier eine Million Rattigans.«
Bettinson drückt eine Taste auf dem Computer, an dem ich nicht gearbeitet habe. Der Rechner erwacht aus dem Bereitschaftsmodus.
» Ich dachte, das wäre das komplette Archiv? Haben Sie mir nicht das komplette Archiv gezeigt?«
» Das Archiv, ja. Das Archiv. Aktuelle Projekte und so sind hier drauf. Sonst würde ich ja nie was finden.« Er klickt auf dem anderen Desktop herum. Eine weitere Dateienliste öffnet sich. Er klickt auf die erste Datei, und Brendan Rattigan erscheint grinsend neben einem braunen Rennpferd, das über seine Schulter guckt, auf dem Bildschirm. » Ich hab ’ne Menge Aufträge für den Rattster gemacht. Als das Flugzeug abgestürzt ist, hab ich meinen besten Kunden verloren.«
Er fragt mich, ob ich einen Laptop dabeihabe. Ich hole ihn heraus, er verbindet ihn
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