Totenklage
durch ein Kabel mit dem Desktop-Computer und kopiert mir sämtliche Dateien. Fünfhundertdreiundsechzig Megabyte.
Ich komme vierzig Minuten zu früh zu meiner Verabredung mit dem CPS .
11
Das Treffen mit dem CPS ist ganz okay. Ich erreiche weniger, als ich wollte, aber mehr, als ich erwartet habe. Außerdem sind sie dort sowieso schon über den Fall informiert, und der vorläufige Bericht der Rechnungsstelle ist wohl mehr als ausreichend für ihre Zwecke.
Obwohl ich genauso gut Feierabend machen könnte, fahre ich noch mal ins Büro zurück, um ein paar Sachen zu erledigen. Natürlich kann ich der Versuchung nicht widerstehen, den Laptop einzuschalten. Nach fünf Minuten habe ich gefunden, wonach ich suche: ein Foto von Penry und Rattigan zusammen auf der Rennbahn. Sie halten Champagnergläser in den Händen und lachen ausgelassen über etwas, das nicht mehr im Bild ist. Wahrscheinlich freuen sie sich über einen Sieg. Sie wirken wie Freunde und nicht wie flüchtige Bekannte. Ich überfliege das gesamte Archiv. Möglicherweise entgeht mir dabei ein wichtiges Bild – irgendwann muss ich mir alles gründlicher ansehen –, aber ich finde Fotos von wenigstens sieben verschiedenen Tagen, an denen Bettinson Penry und Rattigan zusammen in Chepstow aufgenommen hat. Sieben Tage. Der Millionär und der Betrüger.
Einer dieser Tage war im März 2008. Das macht mich stutzig, wenn ich auch nicht weiß, wieso. Ich starre auf die Liste, bis mir bewusst wird, dass Starren nicht gerade eine ergiebige Ermittlungstechnik ist. Außerdem habe ich noch nichts von dem erledigt, weshalb ich eigentlich zurück ins Büro gefahren bin, und beeile mich jetzt, das zu tun.
Ich arbeite bis acht Uhr, danach fahre ich zu meinen Eltern zum Abendessen. Zum ersten Mal in dieser Woche, was wohl noch keine meiner selbstauferlegten Regeln verletzt. Meine Eltern wohnen in Roath Park, einem Villenviertel mit großen Bäumen, Gänsen, die darüber hinweg zum nahegelegenen Fluss fliegen, und Pendlern, die zu spät nach Hause kommen. Ich muss nur in die Lake Road einbiegen, und schon hebt sich meine Stimmung. Dieser Ort beruhigt mich. So war es schon immer, und so wird es immer sein.
Dad ist nicht in unserer Pseudo-Tudor-Villa, weil er arbeiten muss. Aber Mam ist zu Hause – und Ant (kurz für Antonia), meine jüngste Schwester, die bald dreizehn wird und jetzt schon fast so groß ist wie ich. Damit bin ich bald die Kleinste in der Familie.
Es gibt gebratenen Schinken, gekochte Kartoffeln und Karotten. Dazu lassen wir uns von einem Fernsehkoch erklären, wie man Meerbrassen auf spanische Art zubereitet.
Ant will, dass ich ihr bei den Hausaufgaben helfe, und ich gehe mit ihr nach oben. Damit sind wir nach fünfzehn Minuten fertig. Ant wartet, bis ich ihr die Antworten sage, und schreibt sie auf. Dann legt sie Musik auf, spielt an ihren Haaren herum und erzählt mir lang und breit von dem Hund einer Freundin, der sich die Vorderbeine verletzt hat und nun ohne fremde Hilfe mit so einer Art Gehhilfe herumläuft. Dabei liegt sie bäuchlings auf dem Bett und rudert mit den Beinen durch die Luft. Sie ist in dem Alter, in dem man weder Mädchen noch Frau ist. Ich frage mich, was ich in ihrem Alter getan habe. Wahrscheinlich habe ich auf dem Bauch gelegen und mit den Beinen gerudert. Ganz normal und unbeschwert. Drei Jahre, bevor mein Leben zu Bruch ging.
» Er hat sich die Beine verletzt?«
Ant sieht mich an, als wäre ich völlig bescheuert, und redet weiter, wobei sie aus jedem Satz eine Frage macht. » Ja, die Vorderbeine? Sie mussten sie nicht abnehmen, aber irgendwas war mit den Gelenken? Sodass er nicht mehr drauf laufen konnte?« Dann erzählt sie weiter. Ich höre gar nicht mehr zu, aber das erwartet sie auch nicht. Sie will einen eigenen Fernseher und versucht, meine Unterstützung zu gewinnen, um Mam zu überzeugen.
» Mam brauchst du gar nicht erst zu fragen, Ant. Frag Dad.«
» Und der sagt dann: › Frag Mam.‹«
» Ich weiß. Aber die wird niemals ja sagen, oder? Also ist Dad derjenige, den du bearbeiten musst.«
» Kay hat einen.«
Kay ist meine andere Schwester. Sie ist achtzehn und ziemlich sexy, aber von den typischen Teenager-Stimmungsschwankungen geplagt. Ich kann mir vorstellen, dass eine ganze Reihe von gebrochenen Herzen ihren Weg pflastert.
» Die hat auch erst mit sechzehn einen bekommen. Vergiss Mam. Halt dich an Dad.«
» Aber sag’s ihr, ja? Sie hört auf dich.«
Ich weiß nicht, ob Mam wirklich auf mich hört, aber
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