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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
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es schmeichelt mir, dass Ant dieser Ansicht ist. Wie dem auch sei – ich glaube nicht, dass Ant ein schöneres Leben hätte, wenn ein Fernseher in ihrem Zimmer steht.
    » Außerdem kannst du dir doch alles auf dem BBC -iPlayer angucken.«
    Sie wirft mir einen finsteren Blick zu, der zu gleichen Teilen meinem Verrat am schwesterlichen Bund, der typischen Teenagerentfremdung und einem existentiellen Weltschmerz geschuldet ist.
    Ich bleibe noch ein bisschen bei Ant, dann gehe ich runter und trinke eine Tasse Kräutertee mit meiner Mutter, die inzwischen eine DVD mit irgendeinem Kostümdrama eingelegt hat und nur widerwillig wieder abschaltet.
    » Hast du das schon gesehen? Gute Serie.«
    » Noch nicht.«
    » Wenn du willst, kann ich dir die Staffel mal ausleihen, wenn ich fertig bin.«
    Ich lächle Mam so herzlich an, dass sie tatsächlich glauben könnte, dass erst eine Staffel dieses viktorianischen Kostümdramas mein Leben lebenswert machen würde. Dann ziehe ich die Schuhe aus und lege meine Füße auf ihren Schoß. Das ist eine alte Tradition bei uns.
    » Ant will unbedingt einen eigenen Fernseher.«
    » Nur, weil ihre Freundinnen auch einen haben. Sie guckt ja fast nie.«
    » Würde sie aber wahrscheinlich vom Computer fernhalten. Heutzutage können die Kids sich ja alles Mögliche drauf angucken.«
    Mam verzieht das Gesicht. Ein Als die Leute noch Korsetts trugen, war alles besser -Gesicht.
    » Da gibt’s so Kindersicherungen. Damit man nachts nur bis zu einer bestimmten Zeit fernsehen kann oder so.«
    Für diese Bemerkung zieht Mam an meinen Zehen. » Du bist genauso schlimm wie dein Vater.«
    Ich lächle sie an. Mir scheint, Ant hat den Fernseher so gut wie in der Tasche.
    » Ich muss los, Mam. Danke fürs Abendessen.«
    » Nichts zu danken, Liebes.« Sie zögert einen Augenblick, lädt mich aber nicht ein, hier zu übernachten. Das hat sie in den ersten neun Monaten nach meinem Auszug fast reflexartig getan. Jetzt immer noch. Ab und zu. » Willst du am Wochenende vorbeikommen? Dein Dad würde dich bestimmt gerne sehen.«
    » Vielleicht.«
    » Nun hab dich nicht so, Liebes. Das weißt du ganz genau.«
    Ich muss lachen. Während ich die Schuhe wieder anziehe, erkläre ich ihr, das » vielleicht« würde bedeuten, dass ich vielleicht vorbeikomme, nicht dass ich der Meinung bin, mein Dad wolle mich nur vielleicht gerne sehen. Allerdings war Mams Missverständnis sehr aufschlussreich. Als ich mich für den Polizeidienst entschieden habe, sind Dad und ich ziemlich heftig aneinandergeraten. Eine solche Berufswahl, wenn man bedenkt, womit er seine Brötchen verdient – nun, es war nicht gerade Verrat, aber so richtig verstehen konnte er es auch nicht. Das gab dicke Luft, doch so richtig kompliziert wurde es erst, als ich zur Kriminalpolizei versetzt wurde. Dad hielt das für völlig unangebracht und ließ mich das auch wissen. Ich dagegen fand, dass es ihn ja wohl überhaupt nichts anging, was ich mit meinem Leben anstellte, und ließ ihn das wissen. Ziemlich lautstark. Da hatten wir zum ersten Mal einen richtigen Streit. Einen Streit, von dem ich dachte, dass er längst beigelegt wäre. Aus Mams Reaktion aber kann ich schließen, dass dem wohl doch nicht so ist.
    » Ich kann gerne vorbeikommen, wenn er da ist«, sage ich. » Er hat am Wochenende frei, oder?«
    » Nein, wahrscheinlich muss er am Sonntag arbeiten. Dieses Jahr gibt’s ziemlich viel zu tun.«
    Ich lache. » Das freut mich. Freut mich, wenn er viel zu tun hat.«
    Bei dieser Bemerkung wirft mir Mam einen finsteren Blick zu. Sie ist eine brave Methodistin, deren Ehemann alles andere als ein braver Methodist ist, und sie schätzt es nicht besonders, wie ihr Mann seine Brötchen verdient.
    Sagt sie jedenfalls. Warum hat sie dann nicht einfach einen Banker geheiratet?
    Ich wünsche Mam noch viel Spaß mit ihrer Serie, und sie verspricht mir noch mal, dass sie mir die DVD s ausleihen wird, sobald sie damit fertig ist. Ich verabschiede mich, ohne aufzustehen, aber sie steht auf und bringt mich zur Vordertür. Ohne Dad wirkt das Haus viel zu groß.
    Ich fahre nach Hause.
    Da ich die Fotos von April völlig vergessen habe, erschrecken sie mich fast. Ich starre sie im Zwielicht der Straßenlaternen vor dem Haus und der brennenden Lampe hinter der halbgeöffneten Flurtür an, ohne das Wohnzimmerlicht einzuschalten.
    Sechs kleine Aprils, aber keine Antworten.
    Eine Antwort könnte ich allerdings erhalten. Ich fahre den Laptop hoch und lese die Notizen durch, die

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