Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
Vom Netzwerk:
Jeans, weder Schuhe noch Socken und ein fadenscheiniges altes T-Shirt, das einen Segelclub bewirbt. Seine Füße sind schwielig und braungebrannt, mit gelblichen Nägeln.
    Er antwortet nicht sofort und macht die Tür auch nicht weiter auf. Er tut nichts, außer mich anzusehen und verächtlich zu grinsen.
    » Tja, das muss ja ganz was Wichtiges sein, wenn die gerade Sie schicken.«
    » Darf ich reinkommen?«
    Penry weiß sehr wohl, dass das keine rhetorische Frage ist. Wenn er Nein sagt, heißt das auch Nein. Altes englisches Recht, geheiligt durch die Magna Charta und die britische Justiztradition, verleiht seinem Nein die Stärke von Eisenstangen. Er zögert sehr lange, bevor er antwortet.
    » Wollen Sie einen Kaffee?«
    Seine Frage klingt einladend, seine Haltung ist es jedoch ganz und gar nicht. Er steht immer noch in der Tür und kratzt sich die Brust unter dem T-Shirt, zeigt mir seine Bauchmuskeln und seine Körperbehaarung. Oje, das wird nicht einfach.
    Üblicherweise reagiere ich auf diese Art von Machogehabe allergisch, aber ich werde professionell bleiben. Außerdem kennt Penry so ziemlich jeden Polizeitrick, den es gibt, daher bleibe ich ruhig.
    » Ich trinke keinen Kaffee, aber wenn Sie Kräutertee haben, dann gerne.«
    » Sie müssen vorher abspülen. Die Tassen sind in der Küche.«
    So läuft das also, ja? Ich bleibe ruhig. » Okay, wenn Sie den Tee holen, wasche ich die Tassen ab.«
    Auf diese Antwort folgen ein, zwei weitere Sekunden des Posierens, dann öffnet Penry die Tür vollständig und geht vor in die Küche. Ich folge ihm.
    Das Haus ist unordentlich. Nicht dreckig, nur so unordentlich, wie man es von einem alleinlebenden Mann vermuten würde. Oder, genauer gesagt: von einem alleinlebenden Mann, der in der nächsten Zeit keinen Damenbesuch erwartet. Das mit dem Abspülen war auch nicht gelogen. Im Spülbecken türmt sich das dreckige Geschirr, und auf der Wasseroberfläche hat sich fettiger Schaum gebildet. Der Deckel der Mülltonne fehlt, und der Müllbeutel ist mit Bierdosen, Tetrapacks und Fertiggerichtverpackungen gefüllt.
    Penry schaltet demonstrativ den Wasserkocher ein. Damit hat er seinen Teil der Abmachung erledigt. Dann stellt er sich etwas zu nahe hinter mich und versucht, mich einzuengen. Ich will weder seine Tassen noch sein Geschirr anfassen und schon gar nicht meine Hand in den orangefarbenen Fettfilm im Spülbecken tauchen. Daher entscheide ich mich für die beiden am wenigsten ekelerregenden Tassen und halte sie unter das fließende Wasser, um sie so schnell wie möglich zu dekontaminieren. Ich reiche Penry die Tassen, wasche mir die Hände unter dem immer noch fließenden Wasser und drehe es ab, bevor der orangefarbene Schlamm überfließen kann.
    Penry schüttet Instantkaffee in seine Tasse und gießt heißes Wasser darauf. Keine Milch. Kein Zucker.
    » Leider hab ich keinen Kräutertee.«
    Er grinst mich herausfordernd an.
    » Prima. Dann brauche ich die ja nicht.« Ich nehme ihm die unbenutzte Tasse ab und werfe sie in den Mülleimer. » Können wir zur Sache kommen?«
    Penry macht keine Anstalten, die Tasse aus dem Eimer zu nehmen. Stattdessen scheint ihn meine Reaktion ehrlich zu amüsieren. Barfüßig geht er voraus ins Wohnzimmer, das ebenfalls unaufgeräumt, aber nicht schmutzig ist. Von hier aus kann man in den Garten sehen, wo Penrys georgianischer Wintergarten in den Vorort ragt wie ein Schoner in die Bucht von Cardiff während der Cowes-Week-Regatta. Ich betrachte alles in Ruhe. Bis auf eine Plastikfolie und etwas in die Ecke gefegten Bauschutt ist der Wintergarten völlig leer. Zwei Schlüssel hängen an einem Nagel, der in den Türrahmen geschlagen wurde. Das Klavier ist durch die Bauarbeiten völlig verstaubt, und ich kann nirgendwo Noten entdecken.
    Penry sitzt in einem Sessel, von dem aus man einen guten Blick auf das Fernsehgerät hat. Ich nehme auf dem Sofa Platz und kann sein Gesicht nur im Halbprofil sehen.
    » Ich dachte, ich halte Sie auf dem Laufenden, was Ihren Fall angeht. Außerdem hätte ich noch ein paar Fragen. Sie wissen ja – je kooperationsbereiter Sie sind, umso höher wird Ihnen das bei der Urteilsverkündung angerechnet.«
    Penry starrt mich eine Weile an, dann nimmt er einen Schluck Kaffee. Er sagt nichts. Er musste aufgrund einer Rückenverletzung den Dienst quittieren, und mir fällt auf, dass der Sessel eines von diesen hässlichen orthopädischen Modellen ist. Auf dem Tisch liegt ein Päckchen Paracetamol. Wenn ein Cop aufgrund seines

Weitere Kostenlose Bücher