Totenklage
meiner Vorgesetzten verdient, aber man kann ja nicht alles haben.
Ich dusche und ziehe mich an – mit der gebotenen Eile, da ich so lange herumgetrödelt habe und auf keinen Fall zu spät zur morgendlichen Besprechung kommen will. Erst als ich das Haus verlasse, bemerke ich, was ich da überhaupt anhabe. Eine beige Hose. Braune Stiefel. Ein weißes Hemd und eine Khakijacke. Die Büroversion eines Kampfanzugs. Egal. Ich habe weder Zeit noch Lust, mich noch mal umzuziehen. Als Kompromiss trage ich im Auto unter Zuhilfenahme des Rückspiegels einen neutralen, fast farblosen Lippenstift auf. Was nicht viel Unterschied macht, doch ich wette, Ant und Kay wären stolz auf mich.
Dann geht’s los. Ich fahre – viel zu schnell – zum Büro und bin um acht Uhr achtzehn die Vierte im Besprechungsraum. Das Kribbeln ist noch da, aber fast nicht mehr zu spüren. Ich interpretiere es jetzt mal als positive Energie, die ich direkt auf die Arbeit umleiten werde.
Ich rufe die Weatherbys-Website auf. Ich weiß genau, wonach ich suche, und bin nicht überrascht, als ich es tatsächlich finde. Wie ich bereits weiß, besitzt Brian Penry Anteile an nur einem Rennpferd, dessen Existenz ich inzwischen überprüft habe. Brian Penry hat jedoch ein walisisches Alter Ego namens Brian ap Penri, das Anteile von weiteren vier Pferden besitzt. Bei zweien dieser Pferde fungiert Rattigan als Miteigentümer, und bei einem weiteren sind zumindest zwei enge Geschäftspartner von Rattigan eingetragen. Beim letzten Pferd kann ich keine offensichtliche Verbindung zu Rattigan entdecken, aber ich möchte wetten, dass es eine gibt. Am Tag, als Brian Penrys Pferd krank war und nicht laufen konnte, gewann eines der Pferde, die Brian ap Penri gehören, ein Rennen in Chepstow.
Fünf Pferde, nicht nur eines.
Die beiden Männer waren Freunde, nicht nur Bekannte.
Das Loch von 40 000 Pfund ist plötzlich um einiges größer und viel, viel dunkler geworden. Ich frage mich, welche Leichen auf dem Boden dieses Lochs liegen.
Noch bevor ich die Website schließen kann, bin ich schon aufgestanden und habe nach den Autoschlüsseln gegriffen.
13
Rhayader Crescent ist eine Seitenstraße der Llandaff Road.
Ihre Gewöhnlichkeit ist fast erdrückend. Die Straße wirkt auf unaufdringliche Weise modern. Hauptsächlich Doppelhaushälften. Die Architektur wirkt beruhigend. Das liegt wohl an den dunklen Hartholzelementen, diesen teuren Ziegeln, die während des Brennvorgangs speziell marmoriert werden, um ihnen einen altertümlichen Anstrich zu verleihen, und dem Pflaster in den Einfahrten, das zwar aus Beton ist, aber wie Stein oder Ton aussieht. Genau diese Straße beschwören unsere Politiker immer herauf, wenn sie von den hart arbeitenden Familien der britischen Mittelschicht reden. Eine Straße, in der mit Krankenschwestern verheiratete Lehrer, mittlere Führungskräfte und aufstrebende Anwälte leben. Und, wie sich herausstellt, betrügerische Ex-Polizisten.
Ich drücke auf die Klingel der Hausnummer 27. In der Einfahrt steht ein alter Toyota Yaris. Im Gegensatz zu den Nachbarn hat Penry weder Vorgarten noch Rasen oder Blumentöpfe. Heute ist es ziemlich warm und drückend schwül. In der Entfernung verschwimmt alles zu einem einzigen Flirren, während alle Gegenstände in der Nähe außergewöhnlich scharf erscheinen. Die ganze Welt scheint sich nach einem aufrüttelnden Regensturm zu sehnen. Also, ich zumindest.
Als ich gerade noch mal klingeln will, höre ich Geräusche von innen – und sehe einen Schatten, der an einer Milchglasscheibe vorbeihuscht. Dann das Geräusch, mit dem der Riegel zurückgeschoben wird und die Tür aufschwingt.
» Mr Penry, ich bin DC Griffiths. Wir haben uns vor sechs Wochen im Cathays Park getroffen.«
Das erwähne ich, um seiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen. Wir sind uns begegnet, als er verhört wurde, aber ich war bei weitem nicht die Hauptattraktion dieses Tages, daher kann ich auch nicht von ihm erwarten, dass er mich sofort wiedererkennt. Außerdem sage ich » Cathays Park« statt Polizeirevier, weil es erstens der Begriff ist, den alle Polizisten benutzen, und ich zweitens nicht will, dass neugierige Nachbarn Gerüchte verbreiten.
Penry ist um die fünfzig, wirkt jedoch älter. Er hat noch dunkles, ziemlich langes und ungewaschenes Haar. Die wenigen Falten sind tief in sein Gesicht eingegraben. Er sieht aus wie ein Polizist aus einer Siebzigerjahre-Fernsehserie. Lederjacken und wilde Schlägereien. Gerade trägt er
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