Totenklage
mir mit der offenen Hand ins Gesicht. Von der Kraft des Schlages bin ich betäubt – sowohl in buchstäblichem als auch in metaphorischem Sinn. Ich werde durch den Flur geschleudert. Ich glaube, ich pralle mit dem Kopf gegen die gegenüberliegende Wand. Wie dem auch sei – als ich wieder einigermaßen bei Sinnen bin, liege ich zusammengekrümmt auf dem Boden vor der Treppe. Penry hat sich über mir aufgebaut.
Er ist zwei Meilen groß und wird mich umbringen.
Ich sage und tue überhaupt nichts. Es geht nicht. Vor meinen Augen tanzen schwarze und rote Blitze. Ich schmecke Blut. Mein Kopf fühlt sich an, als wäre er von einem professionellen Sprengkommando in die Luft gejagt und dann mit Klebeband wieder zusammengeflickt worden. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ein einziger Schlag so eine Wucht haben kann. Obwohl ich körperlich ziemlich fit bin. Allerdings wurde ich noch nie so geschlagen. Als wäre eine Ziegelmauer zum Leben erwacht und hätte mir eins übergebraten. Mein Rock ist über die Knie hochgerutscht, und ich bringe meine rechte Hand dazu, ihn wieder herunterzuziehen. Mehr Widerstand kann ich nicht aufbringen. Und selbst das ist sehr anstrengend.
So ist das also, wenn man völlig ausgeliefert ist. Ich hatte ja keine Ahnung, wie total, wie allumfassend dieses Gefühl ist.
Penry steht noch ein paar Sekunden lang über mir, dann macht er auf dem Absatz kehrt und geht. Erst als sich die Vordertür schließt, wage ich allmählich, mich zu bewegen.
Ich strecke die Beine aus und setze mich vorsichtig auf die erste Treppenstufe. Dann ziehe ich eine erste Schadensbilanz. Meine rechte Gesichtshälfte, diejenige, auf die mich Penry geschlagen hat, hat langsam die Betäubung des Schocks überwunden und fängt an, höllisch wehzutun. Ich drücke vorsichtig mit den Fingerspitzen darauf herum. Angeschwollen, doch nichts ist aufgeplatzt oder gebrochen. Wahrscheinlich rührt das Blut in meinem Mund daher, dass meine Wange gegen meine Zähne geschlagen ist. Auf der anderen Kopfseite habe ich eine kleine Wunde, vermutlich von dem Zusammenstoß mit der Wand. Meine Zähne fühlen sich locker an, aber das liegt am Schock. Mein Hals schmerzt überall, aber das ist wohl das Zusammenspiel von Schock und Schleudertrauma. Außerdem schmecke ich Kotze.
Ich bin nicht sauer auf Penry. Der Schlag war die Quittung dafür, dass ich ihm sein Handy gestohlen habe. Er hätte mir noch viel mehr antun können. Ich bin so schockiert, weil es so unglaublich leicht für ihn war. Ich bin wütend auf meine Schwäche. Warum zum Teufel leben wir in einer Welt, in der Männer den Frauen gegenüber körperlich so sehr im Vorteil sind? Warum reichen meine Gene gerade mal für eins siebenundfünfzig, wo doch meine Schwester Kay über eins siebzig und Ant auf dem besten Wege dahin ist? Nicht, dass die gegen Penry eine Chance gehabt hätten. Dazu fehlen ihnen die Bauchmuskeln, der Bizeps und die Körperbehaarung.
Ich stehe auf.
Das klappt so einigermaßen. Mein Gleichgewichtssinn ist leicht gestört – wie wenn man aus dem Becken steigt, nachdem man lange geschwommen ist –, aber alles funktioniert so, wie es soll. Ich gehe in die Küche, spucke etwas Blut ins Spülbecken und gieße heißes Wasser auf meinen Tee.
Soll ich Lev anrufen?
Soll ich Dad anrufen?
Soll ich Jackson anrufen?
Soll ich Brydon anrufen?
Ich rufe niemanden an. Stattdessen gehe ich langsam die Treppe hinauf und freue mich fast über die Kopfschmerzen, die nun mit aller Macht über mich hereinbrechen, da sie eine normale körperliche Reaktion darstellen. Ich betrachte mich im Badezimmerspiegel. Meine rechte Gesichtshälfte ist leicht angeschwollen, aber dafür, wie sie sich anfühlt, sieht sie überraschend normal aus. Dass meine Augen leicht glasig sind, bemerke ich nur, weil ich so etwas erwartet habe. Ich bin immer noch etwas benommen und aus dem Gleichgewicht.
Ich mache mir ein heißes Bad mit Unmengen an beruhigendem Badesalz. Mein Genick tut höllisch weh.
Ich spüre nur drei Dinge: Taubheit, Schmerz und Angst. Langsam lässt die Taubheit nach und wird von den anderen beiden Gefühlen verdrängt.
Ich höre, wie unten die ersten SMS auf meinem Handy eintreffen.
22
Der Rest des Abends verläuft den Umständen entsprechend ruhig. Nach einem – langen – Bad nehme ich noch ein paar Aspirin. Zwei über der empfohlenen Dosis, aber was soll’s. Das Hämmern in meinem Kopf verwandelt sich in ein leichtes, medikamentengedämpftes Pochen im Hintergrund.
Ich
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