Totenklage
lege mich aufs Bett. Eigentlich wollte ich mir vor dem Anziehen die Haare föhnen, stattdessen falle ich ein paar Stunden lang in einen tiefen, traumlosen Schlaf – Schlaf, den ich lange vermisst habe. Ich bin völlig übermüdet, und diese zwei Stunden sind ein Geschenk.
Als ich um halb acht wieder aufwache, liegt eine seltsame Sommerabendnormalität in der Luft. Ein paar Rasenmäher brummen vor sich hin. Radfahrende Kinder werden zum Essen gerufen. Dicke Nachbarn mit käseweißen Beinen und unvorteilhaften kurzen Hosen unterhalten sich über den Gartenzaun hinweg über irgendwelchen Blödsinn. Eine Oma geht nach einem Tag bei der Familie nach Hause. Würde jemand einen Werbefilm über die Freuden des bürgerlichen Lebens in Pentwyn drehen, dann wäre er gut beraten, ein paar dieser Szenen hineinzuschneiden. Kein Glamour, sondern die Realität, die auf bescheidene Art liebenswert ist. Sicherheit.
Ich gehe nach unten, über die unterste Stufe, vorbei an der Wand, an der ich mir den Kopf gestoßen habe. Durch die Tür, in der ich gestanden habe, als Penry den Arm gehoben hat. Ins Wohnzimmer, wo er die Idee dazu gekriegt und dann die Ausführung geplant hat.
Mir ist übel. Richtig übel. Ich muss sogar in die Küche rennen, mich übers Spülbecken beugen und trocken würgen. Es kommt nichts raus, aber schlecht ist mir nach wie vor.
Sicherheit? Hier ist gar nichts sicher. In der realen Welt ist so eine Vorstellung lächerlich. Penry ist hier reinspaziert, hat Räucherlachs gegessen und mich geschlagen. Ich habe ihn reingelassen. Zugegeben, ich habe ihn regelrecht eingeladen. Aber was in Gottes Namen könnte irgendjemanden davon abhalten, hier nach Lust und Laune einzubrechen? Die Vordertür ist selbstverständlich abgesperrt. Nachdem ich mit Würgen fertig bin, überprüfe ich jede Tür und jedes Fenster im Haus. Jetzt kommt mir das Haus selbst sehr zerbrechlich vor. Ich weiß, wie solche Häuser gebaut werden. Das weiß jeder. Ein paar billige Ytong-Blöcke mit gelbem Isolierschaum dazwischen, eine Ziegelfassade, fertig. Ein paar Mal kräftig mit dem Vorschlaghammer ausgeholt, und schon ist ein Loch in der Wand. In der Wand, Himmel noch mal! Und die Fenster, was ist mit denen? Das Fenster, das zu dem kleinen Grasflecken und der Einfahrt auf der Vorderseite führt, ist ja praktisch eine Einladung. Hallo, Herr Einbrecher. Sie kriegen mich nicht. Ich hab die Türen und Fenster abgeschlossen. Wie die drei kleinen Schweinchen. Und dann, ach du liebe Güte, kommt der große böse Wolf, der nicht mal mittlere Reife hat und kein Buch lesen kann, ohne dabei die Lippen zu bewegen. Braucht er auch nicht. Da ist nämlich ein Fenster! Ein kurzer, heftiger Stoß, und aus dem Fenster ist plötzlich ein KOMM DOCH REIN -Schild geworden. Komm doch rein, schmeiß die Schweinchen auf den Grill, und verpass der dummen kleinen DC Griffiths eine ordentliche Abreibung. Mach, was du willst, niemand wird dich aufhalten. Fick sie. Schlag sie zusammen. Fessle sie mit Kabelbindern, und kleb ihr Isolierband auf den Mund. Experimentier ein bisschen an ihr rum. Lass dich gehen. Nur zu.
Und das ist noch nicht alles. Es kommt noch besser. Weil das Haus nicht nur ein, sondern jede Menge Fenster hat. In jedem Zimmer gibt’s mindestens eins. Such dir aus, wie du einsteigen willst. Es gibt nicht einen einbruchssicheren Raum in diesem Haus.
Ich weiß, wie verrückt das klingt, aber solche Gedanken jagen gerade durch meinen Kopf. Ich weiß nicht mehr, in welches Zimmer ich gehen soll. Ich hole ein scharfes Messer und den Hammer, den mir mein Dad zum Einzug geschenkt hat, aus der Küche. Ich ziehe alle Vorhänge zu und schalte überall das Licht ein. Dann lege ich wieder Paloma Faith auf, nicht, weil ich auch nur ein einziges Wort von dem hören will, was sie über das Leben zu singen hat, sondern um Lärm zu machen. Den Fernseher schalte ich auch ein. Lieber Herr Wolf, in diesem Haus befinden sich Leute, und Sie können unmöglich wissen, wie viele es sind oder wie groß und stark sie sind.
Ich zittere. Das sieht man mir nicht an. Ich zittere innerlich, was noch viel schlimmer ist. Ein Beben durchfährt mich, das ich weder kontrollieren noch aufhalten kann.
Dreimal bin ich kurz davor, Lev anzurufen. Aber was kann der schon tun? Er ist ja nicht mein Bodyguard. Er kann mich nicht beschützen.
Mein Verstand sagt mir, dass Penry keine Gefahr darstellt. Und mein Verstand hat recht. Der Schlag von heute Nachmittag war die Retourkutsche für meinen
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