Totenklage
bereit. Bei dem Gedanken daran werde ich ganz hibbelig. Mir wird schwindlig.
Als ich die Stadt erreiche, denke ich an Dad. Eigentlich hätte ich ja gedacht, dass er inzwischen ein unbescholtener Bürger ist, weil er es mir gesagt hat und ich üblicherweise glaube, was er mir sagt. Aber wenn es tatsächlich er war, der mir die Waffe besorgt hat, dann ziemlich schnell und unter beträchtlichem Aufwand. Natürlich könnte ich ihn deshalb zur Rede stellen, doch so läuft das bei uns nicht. Als ich damals zur Polizei ging, einigten wir uns darauf, dass ich ihm keine Fragen stellen und er mir nichts erzählen würde. Ich habe ihm nicht eine Frage gestellt. Er hat mir nichts erzählt. Von mir aus können wir es dabei belassen.
Jetzt frage ich mich allerdings, ob die Bestürzung meines Dads, als ich zur Polizei ging, damit zu tun hat, dass er immer noch Dinge zu verbergen hat. Dinge, von denen meine lieben Kollegen lieber nichts erfahren sollten. Selbstverständlich frage ich mich das nicht zum ersten Mal, jetzt bin ich mir allerdings bezüglich der Antwort zum ersten Mal nicht mehr so sicher.
Irgendwann nach zwei bin ich zu Hause. Ich gehe mit den Satinschuhen und Munitionsschachteln in der einen und der Pistole in der anderen Hand zur Tür. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit habe ich keine Angst mehr.
28
Zeit fürs Bett. Was mir heute leichter fällt als zuvor.
Nun ja, eigentlich gehe ich nicht ins Bett, sondern zerre einen Futon und eine Reservebettdecke darunter hervor. Der Futon ist theoretisch für Gäste, aber ich kann mich an keinen Gast erinnern, der ihn jemals benutzt hat. Ich lege ihn so auf den Boden, dass man ihn von der Tür aus nicht sehen kann. Damit auch wirklich alles seine Richtigkeit hat, arrangiere ich die Kissen auf dem Bett, damit es so aussieht, als würde tatsächlich jemand darin schlafen. Dann mache ich es mir auf dem Futon gemütlich, stelle ein Glas Wasser und den Wecker ans Kopfende und lege die Pistole griffbereit neben meine Hand. Zum Schluss stelle ich noch einen Stuhl vor die Tür. Der wird zwar niemanden aufhalten, jedoch ordentlich Lärm machen.
Ich weiß, das ist alles ziemlich übertrieben. Aber ich fühle mich sicher und schlafe wie ein Baby, und das ist alles, was zählt.
Der Wecker klingelt viel zu früh am Morgen. Ich bin immer noch müde. Mir fehlen ja auch drei Stunden Schlaf. Doch wen juckt das? Zumindest habe ich in meinem eigenen Haus wieder Ruhe gefunden. Obendrein habe ich seit Samstag nicht mehr geraucht. Das ist ziemlich gut für mich, besonders wenn man bedenkt, wie stressig Lohan gerade verläuft.
Ich stehe auf und sehe mich um. Ich befinde mich mitten auf dem Planeten der normalen Menschen. Kann sein, dass ich der merkwürdigste Bewohner dieses Planeten bin, aber das ist mir egal. Schön, an einem Ort zu leben, wo Dad morgens zur Arbeit geht und die Leute sich beschweren, wenn die Post zu spät kommt. Sollte Rattigans Armee der Untoten tatsächlich irgendwo da draußen auf mich lauern, dann hat sie sich gut getarnt. Ein paar Wolken stehen am Himmel – von der majestätischen Sorte, die wie Schiffe aussehen, die von Westen angesegelt kommen. Es sind nicht viele Wolken, und die Sonne hat sich bereits auf den Weg gemacht. Es wird ein heißer Tag.
Ich schwebe ins Erdgeschoss und esse eine Nektarine direkt aus dem Kühlschrank. Dann noch etwas anderes, denn wir Bewohner des Planeten der normalen Menschen brauchen mehr als eine mickrige Nektarine. Ich schließe das Gartenhäuschen auf und öffne ein Fenster. Wenn es zu heiß wird, verwandelt sich das Häuschen in eine Sauna. Selbst mit dem geöffneten Fenster wird es zu warm.
Eigentlich sollte ich ja duschen und alles, aber das habe ich gestern Abend schon getan und will keine Zeit verschwenden. Pünktlich heißt pünktlich, Griffiths. Ich schnuppere nur kurz an meinen Handgelenken, ob sie vielleicht nach Schießpulver riechen. Sonst betreibe ich keinen großen Aufwand.
Anziehen muss ich mich natürlich schon. Normalerweise ein Kinderspiel. Ich nehme mir einfach etwas Langweiliges, Angemessenes aus meiner Kollektion langweiliger, angemessener Klamotten. Früher hatte ich nur schwarze, marineblaue, hellbraune, weiße, anthrazitfarbene und rosa Kleidung, wobei das Rosa so hell war, dass es fast schon als beige durchging. Nicht, dass mir diese Farben besonders gut gestanden hätten. Eigentlich habe ich nicht viele Gedanken daran verschwendet. Diese Farbwahl resultierte aus dem Befolgen der goldenen Regel:
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