Totenklage
seinem Bauchnabel geredet habe. So fühlen sich menschliche Wesen, wenn sie kurz davor sind, sich zu verlieben.
Ich stehe auf und gehe langsam die Treppe hoch und zu meinem Schreibtisch. So fühlen sich menschliche Wesen. So ist es, wenn man normal ist. Das menschliche Wesen Fiona Griffiths meldet sich zum Dienst.
Leider weiß ich nicht so richtig, was genau mein Dienst heute ist. Jane Alexander hat mir eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Ihr Junge ist krank, und sie konnte keinen Babysitter organisieren, daher muss sie zu Hause bleiben. Ich kann sie aber jederzeit anrufen. Das bedeutet wohl, dass die für heute geplanten Vernehmungen verschoben sind. Außer, ich kann einen DS auftreiben, der mit mir Prostituierte ausquetschen will. Aber angesichts der jüngsten Entwicklungen ist das sehr unwahrscheinlich. Jackson und Hughes und jeder, der etwas zu melden hat, ist unterwegs und will nicht gestört werden.
Natürlich habe ich tonnenweise Papierkram zu erledigen, doch nichts davon ist dringend. Am gegenüberliegenden Ende des Büros stapeln ein paar DC s leere Plastikbecher zu einer Pyramide auf und versuchen, sie mit einem von diesen weichen Hallenrugbybällen umzuwerfen. Wenn jemand trifft, ertönt bellendes Lachen, das noch lauter wird, wenn jemand vorbeiwirft. Manchmal denke ich, dass das Leben viel einfacher wäre, wenn man ein Mann ist.
Ich nehme mir die Notizen vor, die ich mir bei Durchsicht der Sozialamtsakten gemacht habe. April und Janet. Stacey Edwards.
Die Biografien ähneln sich in einer Million Punkten, aber das war zu erwarten. Man wird nicht einfach so Prostituierte. Nur die gescheiterten Existenzen schlagen diesen Weg ein. Zerrüttete Familienverhältnisse, eine chaotische Kindheit, in der Teenagerzeit dann ein paar dramatische Fehlentscheidungen. Janet und Stacey wurden in Pflege gegeben, weil ihre Eltern entweder verrückt, krank, gewalttätig oder schlicht unfähig waren. Eigentlich kannten sie ihre Eltern überhaupt nicht. Ihre Erziehung hat der Staat übernommen. Wer kann das schon alles durchmachen, ohne dabei den Verstand zu verlieren?
Das fasziniert mich an der Janet und April Show: Janet hatte ein beschissenes Leben und dafür gekämpft, dass ihre Tochter es besser hat. Sie ist gescheitert, doch es ist nicht ihr Scheitern, das mich fasziniert, sondern die Verbissenheit, mit der sie dagegen angekämpft hat.
Unwillkürlich rufe ich die Fotos von April auf meinem Bildschirm auf. Die der toten April, nicht das langweilige mit dem kandierten Apfel. April will mir nichts erzählen, das stimmt so nicht. Ich glaube, dass ich es bereits weiß – was immer » es« auch ist – und April mich nur daran erinnern will. Aber ich komme nicht darauf. Ich wende mich vom Bildschirm ab und beobachte die Jungs mit ihrem Rugbyball.
Eigentlich hätte ich Besseres zu tun.
In London wird gerade Karol Sikorskys Haus durchsucht.
Dave Brydon hat mich gestern Abend geküsst, und heute hätte er es fast schon wieder getan.
Im Handschuhfach meines Wagens liegt eine Pistole, und zu Hause liegen 490 Patronen. Der Rest ist bereits in der Waffe.
Darüber denke ich nach, als ich aufstehe, um mir einen Tee zu holen. Auf dem Weg in die Küche fängt ein Telefon an zu klingen. Nicht meines, sondern das von Mervyn Rogers. Da sonst niemand in der Nähe ist, gehe ich ran.
Es ist Jackson. » Wer ist dran? Fiona?«
» Genau. Ich glaube, Merv ist unterwegs. Soll ich …«
» Nein, nein. Hören Sie zu. Wir sind jetzt gerade bei Sikorsky in London, und wir haben schätzungsweise ein Kilo Heroin gefunden. Also, höchstwahrscheinlich ist es Heroin. Wir lassen es gerade ins Labor bringen …«
» Okay. Ich soll unser Labor anrufen …«
» Ja, die sollen prüfen, ob das Zeug das Gleiche ist wie das, was wir am Tatort gefunden haben.«
» Was ist mit Tony Leonard und Kapuscinski und den anderen? Soll ich mal checken, ob sie irgendwas mit den Drogen zu tun haben?«
» Genau. Wir brauchen so viele Haftbefehle, wie wir kriegen können. Für Leonard. Für Kapuscinski. Für jeden, der mit Sikorsky zu tun hatte. Glauben Sie, dass Ihre Prostituierte …«
» Ioana Balcescu …«
» Richtig. Glauben Sie, dass die noch mehr rausrückt? Ein paar Namen ausspuckt?«
» Keine Ahnung. Ich kann’s versuchen. Aber wenn wir hier richtigliegen, dann werden die Prostituierten in Scharen gegen diese Kerle aussagen.«
» Wir brauchen alles, was Sie finden können. Kleinere Vergehen, irgendwas, egal. Hauptsache, es reicht für
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