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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
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liebenswerten Gesichter in der Dunkelheit und gehe weiter.
    Dann erreiche ich den Parkplatz. Niemand zu sehen. Alles ruhig bis auf die Geräusche, die man auf einem nächtlichen Bauernhof erwarten darf. Ich weiß nicht, was ich hier erwartet habe oder jetzt tun soll. Das große Metallschiebetor, wie man es auch an Lagerhäusern findet, ist verschlossen. Aber selbst wenn es nicht abgesperrt wäre, wüsste ich gar nicht, wie man es aufbekommt. Daneben ist eine Tür in Menschen- statt in Traktorengröße. Ich gehe darauf zu und drücke die Klinke herunter. Sie ist offen.
    Ich gehe hinein.
    Die Scheune ist riesig, wie Scheunen nun mal so sind. Trotzdem erfüllen einen die hohe Decke und der große, stille Raum mit Ehrfurcht, ob man will oder nicht. Ich gehe so vorsichtig vorwärts, als wäre ich in einer Kathedrale.
    Der Raum wird von zwei Glühbirnen an langen Kabeln » erleuchtet«, wenn man es denn so nennen will. Es sind wahrscheinlich 100-Watt-Birnen, aber bei der Größe der Halle und der allumfassenden Dunkelheit kommt das Licht nicht weit, bevor es den Mut verliert. Unter der nächstgelegenen Glühbirne sind Strohballen so arrangiert, dass sie eine Linie quer durch die Scheune bilden. Weiter hinten, unter der anderen Birne, steht eine Reihe Papierzielscheiben. Sie sind nicht rund, sondern haben menschliche Form. Der Torso ist schwarz, die Arme und der Kopf weiß.
    Auf einem der Strohballen liegt eine Pistole. Ich weiß weder, um welches Fabrikat noch um welches Kaliber es sich handelt. Daneben steht ein Karton mit Patronen.
    Ich weiß, dass Pistolen eine Sicherung haben. Ist diese Waffe nun gesichert oder nicht? Keine Ahnung. Da gibt es wohl nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.
    Ich komme mir ziemlich behämmert vor, gleichzeitig aber auch wie Cagney und Lacey. Ich gehe in Stellung. Beine auseinander. Arme ausgestreckt. Blick nach vorn. Feuer.
    Nichts.
    Ich lege den Hebel, den ich für die Sicherung halte, in die einzig andere mögliche Position und versuche es erneut.
    Dieses Mal funktioniert es. Der Schuss ist erstaunlich laut. Das akustische Äquivalent zu Penrys Schlag. Entweder bin ich extrem hellhörig, Pistolen sind tatsächlich so laut, oder es liegt einfach nur daran, dass es vorher in der Scheune so still war.
    Als ich die Pistole mit zitternden Armen wieder ablege, fallen mir die Ohrenschützer auf, die ebenfalls im Stroh liegen. Ich wüsste nicht mal, wie die Dinger heißen, hätte es Aled Soundso mir gegenüber nicht erwähnt. Der gute alte Aled. Einer von Dads Jungs. Auf Dad kann man sich verlassen. Der ultimative Alleskönner, das bekehrte Schlitzohr.
    Wenn ich schon mal hier bin, kann ich auch ein bisschen üben.
    Ich finde heraus, wie man die Waffe lädt. Dazu muss man das Magazin aus dem Griff auswerfen. Das übe ich so lange, bis es nur noch ein einfacher Handgriff ist. Ich schließe die Augen und versuche, die Pistole im Dunklen zu laden und wieder zu entladen und den Sicherungshebel mit dem Daumen umzulegen. Wahrscheinlich bin ich nicht die Schnellste, aber es klappt so einigermaßen. Insgesamt liegen vier Schachteln mit Munition im Stroh.
    Eine kann ich ja zu Übungszwecken verballern.
    Feuer. Feuer. Feuer.
    Ich schließe die Augen und stelle mich mit dem Rücken zu den Zielscheiben auf. Dann wirble ich herum. Feuer. Feuer. Feuer.
    In einer Schachtel sind 250 Kugeln. Ich verschieße etwa 150 davon. Manche Schüsse treffen ihr Ziel nicht. Ziemlich viele landen in den weißen Zonen: Kopf, Hände, Leistengegend. Und nicht wenige treffen ins Schwarze. Der Pappkamerad, auf den ich mich eingeschossen habe, hat jetzt ein großes Loch im Bauch und sieht ziemlich fertig aus.
    Meine Arme schmerzen. Die Waffe hochzuhalten ist ziemlich anstrengend. Ich lege sie beiseite und setze mich hin, um mich auszuruhen. In Cambridge hatte ich eine Kommilitonin von Adel – ebenfalls eine Philosophiestudentin –, die allen wichtigen Dingen, die sie besaß, Namen verlieh. Ihrem Teddybären natürlich, aber auch ihrem Auto. Ihr Handy hatte einen Namen, genau wie ihre beiden Laptops und ihre Kamera. Vermutlich hatten auch ihre Messer und Gabeln Namen – die englische Aristokratie hat schon seltsame Angewohnheiten. Ich vergebe nur selten Namen, aber wenn, dann müsste diese Pistole unbedingt einen kriegen. Huw vielleicht? Dumm, aber unter Umständen gefährlich. Oder Brendan? Harmlos, kann aber trotzdem alle Prostituierten im Umkreis ganz schön einschüchtern. Oder vielleicht Jane Alexander? Hübsch, glatt und

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