Totenklage
Ja. Aber Sie haben nichts unternommen und auch niemandem Bescheid gesagt?«
Hughes scheint weniger von mir beeindruckt zu sein als die anderen Anwesenden. Trotzdem bemüht er sich natürlich, so kooperativ wie möglich zu sein.
» Wir haben jemanden – Andy, das warst du, oder? – zu seinem Haus geschickt, um nach dem Rechten zu sehen. Kein Lebenszeichen. Kein Auto in der Einfahrt. Wir haben angenommen, dass er spontan verreist wäre.«
» Haben Sie nicht versucht, mit seiner Familie Kontakt aufzunehmen?«
» Familie? Er ist nicht verheiratet. Er lebt allein.«
Das ist mir neu, doch das verrate ich ihnen nicht. » Ich meinte seine Eltern. Oder andere Verwandte.«
Hughes hebt die Hände. » Wir wussten ja gar nicht, wie wir seine Familie hätten kontaktieren können. Wer weiß, ob er überhaupt Verwandte hat?«
Joan betritt mit Huw Fletchers Datenblatt den Konferenzraum. Darauf steht unter anderem seine Adresse. Ich nehme das Blatt entgegen, ohne mich zu bedanken, bitte sie aber, erneut auf Fletchers Telefon und Handy eine Nachricht zu hinterlassen und eine weitere E-Mail zu schreiben. Sie soll ihm mitteilen, dass die Polizei nach ihm sucht und dass er sich dringend bei Fiona Griffiths melden soll. Hierfür gebe ich ihr unsere altbewährte 0800-Nummer.
Dann wende ich mich wieder Hughes zu.
» Wochen vergehen, ohne dass Sie etwas unternehmen. Wieso nicht?«
Er braucht einen Augenblick, um sich zu sammeln. Mr Hughes ist ein cleveres Kerlchen.
» Wieso nicht? Eine berechtigte Frage, und die Antwort ist mir zugegebenermaßen etwas peinlich. Um offen zu sein, Huw hatte, solange er hier angestellt war, ein ungewöhnlich enges Verhältnis zu dem verstorbenen Mr Rattigan. Sie gingen gemeinsam angeln. Nicht am Fluss oder so. Hochseefischen. Huw kam und ging, wann er wollte, und arbeitete mehr oder weniger allein. Wenn er damals eine Woche lang nicht auftauchte, hat sich niemand groß darüber gewundert. Das hat er mir im Voraus nicht angekündigt, aber er ist danach immer wieder zur Arbeit erschienen. Anfangs versuchte ich noch, ihn zu disziplinieren, aber wenn er mit Mr Rattigan unterwegs war oder für ihn Aufträge erledigte, waren mir in dieser Hinsicht natürlich die Hände gebunden. Und irgendwann haben wir uns gar nicht mehr um ihn gekümmert.«
» Hochseefischen? In Übersee oder …«
» Keine Ahnung. Ich nehme an, dass …«
» Sie nehmen an?«
» Nun, ich vermute, dass sie hier in der Nähe gefischt haben. Er sah jedenfalls nicht so aus, als würde er viel Sonne abkriegen.«
» Und nach Mr Rattigans Ableben?«
» Ging es genauso weiter. Er war etwas seltener unterwegs. Jeden Monat ein paar Tage, die wir als Urlaub oder Krankheitstage verbuchten. Ich war der Annahme, dass er Verschiedenes für Rattigans Familie erledigte. Was er, um ehrlich zu sein, nicht während seiner Arbeitszeit hätte tun sollen, aber …«
» In der Woche nach dem 24. März vermuteten Sie also, dass er wieder unterwegs war?«
» Davon gehe ich aus. Offen gesagt konnte ich mit seinem Arbeitsstil nicht viel anfangen. Je länger er weg war, umso besser. Wäre er wieder zurückgekommen, hätte ich ihm gekündigt. Jetzt, da Mr Rattigan tot ist, musste ich mit ihm keine Nachsicht mehr haben.«
» Sie haben keine Kenntnis darüber, was er für Mr Rattigan oder seine Familie erledigt hat?«
» Nein.«
» War er Experte auf einem bestimmten Fachgebiet? Hatte er besondere Fähigkeiten?«
» Nein.«
» Hat er gute Arbeit gemacht? Oder, besser: Was war seine Aufgabe? Was hat er hier gemacht?«
» Die Logistik. Er hat die Zeitpläne angefertigt. Die Verschiffung organisiert. Verlorene Container gesucht. Sich um Probleme mit dem Zoll gekümmert. Ziemlich langweilig, wenn man nicht gerade selbst in dieser Branche ist. Huw hat ordentlich, aber nicht herausragend gearbeitet.«
» War er für eine bestimmte Sparte oder Region zuständig, oder werden Sie alle je nach Bedarf eingesetzt?«
Hughes sieht Watson und den anderen Mann an, der bisher kaum etwas gesagt hat. » Prinzipiell machen hier alle alles. Andy und Jason hier sind in erster Linie für Skandinavien zuständig. Huw kümmerte sich um die Fracht aus Kaliningrad und teilweise auch um die aus St. Petersburg. Aber im Normalfall übernimmt jeder, was gerade ansteht.«
» Und das erledigen Sie alles von hier? Oder müssen Sie dazu auch ins Baltikum reisen?«
» Hin und wieder, ja. Der Großteil der Geschäfte wird per Telefon und E-Mail abgewickelt, aber es schadet ja nicht,
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