Totenklage
verlangen vollste Kooperationsbereitschaft. Sonst ist die Kacke am Dampfen.«
Das sage ich wirklich so. Aber nur, weil mir » Sonst sitzen Sie tief in der Scheiße« nicht über die Lippen kommen will. Das wäre unprofessionell. Gill beteuert erneut, dass sie alles tun wird, was in ihrer Macht steht, und legt auf.
Danach rufe ich noch mal Jane Alexander an. Sie klingt gehetzt und sagt, dass sie es wohl bis drei Uhr schafft und dann den Abend durcharbeiten kann, wenn es okay für mich ist. Prima, sage ich und dass ich bis dahin ein paar Befragungen organisieren werde.
Das mache ich auch. Ich führe ein paar Telefonate mit ein paar Nummern aus unserer Datenbank und ein paar anderen, die ich aus verschiedenen Quellen herausgekitzelt habe, darunter ein paar der Mädchen, mit denen wir bereits gesprochen haben. Meistens werde ich direkt auf die Mailbox umgeleitet, doch eine Prostituierte, mit der ich persönlich spreche – Kyra –, scheint der Meinung zu sein, dass es ein Riesenspaß wäre, mit der Polizei zu reden. Sie ist vermutlich voll auf Heroin, aber sie verspricht mir, dass sie und » die Mädels« später in einem Haus in der Nähe des Taff Embankment auf uns warten.
Ein kleiner Fortschritt. Ich hoffe, dass Kyra so high und damit auch so gesprächig bleibt. Ich schicke Jane eine SMS mit Ort und Zeit, dann mache ich mich wieder ans Telefonieren.
Und halte inne.
Es geht nicht. Ich kann diese Fletcher-Geschichte einfach nicht ruhen lassen, obwohl ich doch Jacksons Anweisungen befolgen sollte. Ich versuch’s ja. Ehrlich. Ich habe den Hörer in der Hand und will mich dazu zwingen, diese Anrufe zu tätigen, doch es geht nicht. Stattdessen rufe ich Rattigans Reederei an und will Huw Fletcher sprechen. Ich höre mir dieselbe Litanei wie beim letzten Mal an, dann bestehe ich allerdings tatsächlich darauf, mit einem Kollegen aus der Logistikabteilung verbunden zu werden, und stelle mich diesem Kollegen – einem Andy Watson – vor.
» Detective Constable Griffiths? Ja, wie kann ich behilflich sein?«
» Ich ermittle in einer Sache, die unter Umständen auch Mr Fletcher betrifft. Ist es richtig, dass er seit geraumer Zeit nicht mehr zur Arbeit erschienen ist?«
» Das ist korrekt. Seit zwei, zweieinhalb Wochen in etwa.«
» Haben Sie ihn als vermisst gemeldet?«
» Nein, ich … nein, haben wir nicht.«
» Haben Sie versucht, ihn privat zu erreichen?«
» Äh, ja.« Watson redet kurz mit einem Kollegen, woraufhin er etwas selbstsicherer klingt. » Ja, sowohl auf der Festnetz- als auch auf der Handynummer. Wir haben ihm sogar eine E-Mail geschickt. Die kann er auch von zu Hause aus abrufen.«
» Und keine Antwort?«
» Nein.«
» Also, ein Kollege ist seit zwei bis zweieinhalb Wochen ohne Erklärung spurlos verschwunden. Er reagiert nicht auf Ihre Kontaktversuche. Und Sie haben keinen Versuch gemacht, die Polizei einzuschalten. Ist das korrekt?«
Am anderen Ende der Leitung ertönt ein hörbares Schlucken. Das ist das Tolle, wenn man bei der Polizei ist. Man kann die Leute prima einschüchtern. Sie bedrohen, ohne überhaupt eine Drohung auszusprechen. Großartig.
» Ja, das ist korrekt«, sagt Watson.
» Wenn Sie möchten, können Sie noch heute eine Vermisstenanzeige aufgeben. Wir können erst mit der Suche beginnen, wenn er offiziell als vermisst gemeldet wird«, sage ich.
» Ja. Ja, klar. Das kann ich gerne machen.«
» Sehr gut. Dazu müssen wir ein paar Formulare ausfüllen. Ich bin in einer halben Stunde bei Ihnen.« Watson bestätigt, und ich lege auf.
Sofort tippe ich alles in Groove. Vorbildliche Polizeiarbeit. Einem Hinweis der ehrenamtlichen Sozialarbeiterin Bryony Williams zufolge ermittle ich im Fall eines gewissen Huw Fletcher und erfahre dabei, dass Fletcher vermisst wird. Diese Tatsache scheint mir relevant für Operation Lohan, und ich beschließe, die Ermittlungen vor Ort weiterzuverfolgen. Das wird Jackson nicht gefallen, weil ich dabei weder Tee holen noch Notizen machen kann, aber das ändert sich, sobald er kapiert, dass ich da tatsächlich an etwas dran bin. Soweit jedenfalls meine Argumentation.
Ich will gerade den kleinen Aprils auf meinem Bildschirm Lebewohl klicken, aber anstatt den Computer herunterzufahren, rufe ich ein Bild von Brendan Rattigan auf. Das tote Gesicht eines toten Mannes – oder doch das lebende Gesicht eines lebenden Mannes? Es gab eine Zeit in meinem Leben, da hätte mich diese Ungewissheit glatt fertiggemacht, aber inzwischen komme ich ganz gut damit
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