Totenkönig (German Edition)
Khorgo auch ein guter Krieger war und sich gegen viele Feinde zu behaupten wusste, so konnte Larkyen dennoch nachvollziehen, w arum er aus Majunay geflohen war. Ein Blick in die Augen von Khorgos Tochter Zaira genügte, um es zu verstehen. Zaira war eine Frau, die eine friedliche und glückliche Zukunft verdiente; sie glich einer zarten Blume inmitten einer steinigen und vom Tod gezeichneten Wüste.
Der Unsterbliche sah aus einem der Fenster. Hinter dem Gasthaus e rstreckte sich ein breiter Wasserkanal, eine Allee von Bäumen ragte an seinem Rand auf. Die Wasseroberfläche war trüb, und der Geruch von Moder schwängerte die Luft.
Er bemerkte Patryous, die sich langsam näherte. Ihre Stiefel hal lten auf den steinernen Treppenstufen eines angrenzenden Flures wider. Er hatte sie lediglich bemerkt, weil sie von ihm gehört werden wollte. Ein hereinfallender Sonnenstrahl benetzte ihr Gesicht, ihre Augen funkelten für einen Moment wie Rubine.
„Wo bist du gewesen?“ fragte Larkyen.
„Ich habe einen kurzen Ausflug unternommen, um mich zu nähren.“ Auf Larkyens fragenden Blick hin fügte sie hinzu: „Lediglich zwei betrunkene Mitglieder der Velorgilde waren meine Beute. Heute Morgen werden die Fischer sie im Hafenbecken finden und glauben, sie seien ertrunken. Wir sollten die Stadt heute Abend verlassen, wir haben im Kampf gegen die Velorgilde zu viel Aufmerksamkeit erregt. Auf den Straßen spricht man bereits von uns.“
„Was erzählen sich die Meridianer?“
„Sie erzählen Geschichten von zwei mächtigen Kriegern, die sich beinahe im Alleingang gegen die Velorgilde behaupten konnten. Sie glauben, ich wäre eine Soldatin aus dem fernen Majunay die von Sandokar persönlich ausgebildet worden ist. Deine Herkunft vermuten sie im hohen Norden, sie halten dich für einen Kedanier.“
„Diese Leute haben noch nie einen Kedanier gesehen.“ Er lachte. „Sollen sie über uns reden. Ich will noch drei Tage in der Nähe der Majunay bleiben. Ich will sichergehen, dass ihnen in dieser Stadt nichts Böses widerfahren wird.“
„Die Leute auf den Straßen spinnen nur Geschichten, aber die Velorgilde weiß bereits, wer wir wirklich sind, und dass wir den Majunay beistehen.“
„Dann sind ihre Mitglieder also schon einem Unsterblichen b egegnet?“
„Davon müssen wir ausgehen. Sie erkannten uns an unseren A ugen. Die Velors werden keinen weiteren ihrer Leute opfern wollen, nur um ihren Handelspartnern, den Zhymaranern zu imponieren. Also mach dir keine Sorgen.“
„Noch drei Tage, dann ziehen wir weiter“, sagte Larkyen. „Die erhoffte Verkürzung unseres Weges durch die Mitte der Stadt büßen wir somit wieder ein, doch diese Verzögerung ist es wert. Wenn es um einen alten Freund geht, wird selbst der Imperator von Kyaslan warten müssen.“
„Also ist dir die Gesellschaft eines Sterblichen wichtiger als dein Verlangen, dem Imperator gegenüberzustehen und das Wissen über Leben und Tod zu erlangen?“
„Nicht jeder Sterbliche wäre diese Verzögerung wert. Khorgo ist ein Freund, ein ganz besonderer Freund aus früheren Tagen.“
„Es geschieht nicht oft, dass einer von uns einen Sterblichen seinen Freund nennt.“ Patryous lächelte, es war das ehrliche Lächeln einer Unsterblichen, die den Wert des Lebens zu schätzen wusste und die Zerbrechlichkeit des Menschengeschlechts begriff. „Wenn du dem Imperator gegenüberstehst, ist es ratsam, den Grund für jene Verzögerung nicht zu erwähnen. Wie dir bekannt ist, sind für die Kyaslaner alle Sterblichen nichts als Beute, die es zu erlegen gilt.“
„Ihre Bräuche sind mir wohlbekannt, und ich habe sie stets abg elehnt.“
„Auch ich habe diese Brauchtümer abgelehnt, doch musste ich viele davon während meiner Zeit in Kyaslan mitansehen. Das Spi elen mit der Beute Mensch, das langsame qualvolle Töten auf eine Art und Weise, die jegliche Vorstellungskraft übertrifft, um ihren Leibern selbst den letzten Funken Lebenskraft zu entreißen. Kyaslaner kennen keine Freundschaft zu Sterblichen, nicht einmal Zuneigung. Erwähne Khorgo gegenüber niemals etwas von jenem Reich. Ganz gleich, wie sehr du ihm vertraust und wie viel er dir bedeutet. Seit dem Krieg gegen die Strygarer gilt die Existenz Kyaslans als ein Geheimnis, das aus Gründen der Strategie sowie der Sicherheit gewahrt bleiben soll. Nur wenigen Menschen ist es noch gestattet, von der Existenz des Reiches zu erfahren, und sie gehören allesamt den Blutlinien von vertrauenswürdigen Königen
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