Totenkönig (German Edition)
Tag war für sie gleich und verlor über die Zeit hinweg an Bedeutung.“
„Doch sie ist nicht zu dir zurückgekommen“, sagte Patryous. „Die junge Frau, die du hierher verschleppt hast, trägt den Namen Zaira. Sie und ihr Vater kamen hierher, um ein neues Leben zu beginnen, frei von Furcht, frei von Verfolgung. Beginne endlich zu akzeptieren, dass Marityr tot ist. Es war ihr Wunsch, dass ihr Leben ein Ende hat, und so ist es geschehen.“
Meridias schüttelte den Kopf.
„Jenes Weib ist meine Gemahlin, vor vierhundert Jahren gab sie ihre Unsterblichkeit auf. Doch nach all der langen Zeit kehrte Mar ityr zurück in die Stadt der Welt, zurück zu mir als ein sterbliches Wesen. In meinem Herz konnte ich ihre Ankunft spüren und seitdem beobachtete ich sie aus den Tiefen der Kanäle und Brunnenschächte. Ich erkannte sie an ihren Augen. Wenngleich das Raubtier darin verschwunden ist, so sind es dennoch ihre Augen. Sie ist es, entreißt sie mir nicht.“
„Wir werden jetzt gehen.“ Patryous sah Larkyen an. „Der Tunnel führt uns zurück nach oben.“
Meridias stieß einen wütenden Schrei aus, er schlug in einem Anfall wilder Raserei seine Faust in den nächstgelegenen Felsblock und zerschmetterte das uralte Gestein. „Marityr!“
Ihre Waffen dem Sohn der ersten schwarzen Sonne entgegeng estreckt, bewegten sich Larkyen und Patryous rückwärts in den Tunnel hinein. Im Lichtschein einer Fackel warteten Khorgo und Zaira. Der Vater hielt seine Tochter im Arm. Beide weinten.
Panik und Unruhe ließen Meridias` fahlen Leib erbeben. Dem Sohn der ersten schwarzen Sonne war anzusehen, dass er in den Tunnel drängen wollte. Jedoch hielt ihn Larkyen mit seinem Schwert auf Distanz.
Patryous rammte ihren Speer in die Decke des Tunnels. Die schwarze Spitze versank tief im Gestein. Von dort aus begann sich knirschend ein Geflecht von Rissen auszubreiten. Dann fielen Fel sbrocken herab und türmten sich rasch zu einer Wand auf, die Larkyen und Patryous von ihrem Kontrahenten trennte.
„Meridias wird weiterhin nach Zaira suchen“, flüsterte Larkyen. Nur kurz sah er hin zu Khorgo und seiner Tochter. „Der Sohn der e rsten schwarzen Sonne ist besessen von dem Gedanken, sie sei die Reinkarnation seiner Geliebten. Die jahrhundertlange Einsamkeit unter der Erde, gepaart mit all dem unverarbeiteten Schmerz, muss ihn wahnsinnig gemacht haben.“
„Marityr war legendär“, berichtete Patryous. „Damals kannten die meisten Unsterblichen jenen Namen. Die Geschichte dieser Liebe nahm einen traurigen Verlauf, und sie wird erst beendet sein, wenn auch Meridias tot ist. Wir haben keine andere Wahl, wir werden ihn vernichten müssen. Für die Zukunft dieser Stadt und um Zairas Wi llen.“
„Ja, für einen Freund und seine Tochter.“ Wieder sah Larkyen zu Khorgo. In jenem Moment war der zähe Majunaykrieger einem b esorgten Vater gewichen. Khorgo wischte sich die feuchten Augen. „Danke, Larkyen“, flüsterte er.
So sehr sich Larkyen in der Vergangenheit auch gewünscht hatte, eines Tages Vater zu werden, war er doch froh darüber, keine Nac hkommen zu haben. Manchmal konnten Gefühle wie Liebe und Sorge, besonders zu all jenen, deren Leben so zerbrechlich und sterblich war, eine große Schwäche sein, die er sich nicht leisten konnte. Er, Larkyen, der König der Toten, der Bezwinger der Strygarer, war nicht dazu bestimmt, eine Familie zu haben und Kinder großzuziehen. Damit hatte er sich abgefunden.
Eine Anhäufung von Geröll würde Meridias, den Sohn der ersten schwarzen Sonne, niemals aufhalten, das wusste Larkyen. Während er mit Patryous, Khorgo und Zaira durch den Tunnel lief, erklang das Glucksen und Rauschen von Wasser hinter den Wänden. Diese Unterwelt war das Reich der tausend Flüsse, und es bot Meridias unzählige Möglichkeiten, Zaira zu folgen.
Auch Patryous spähte wachsam hinaus in die Dunkelheit.
„Meridias wird irgendwo jenseits der Tunnelwände in den Gewässern auf uns lauern“, flüsterte sie zu Larkyen – aus Rücksicht auf Zaira so leise wie möglich.
„Wir sollten versuchen, einem weiteren Kampf solange ausz uweichen, bis wir die Kanalisation verlassen haben. Meridias hat sich vollkommen an ein Leben im Wasser angepasst. Oben auf den Straßen oder sogar außerhalb der Stadt, in der Wildnis, sind wir ihm gegenüber im Vorteil.“
„Meridias` Anpassung an diesen Lebensraum muss Jahrhunderte, wenn nicht sogar noch länger gedauert haben. Eine solche Veränd erung habe ich noch
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